Von Bettina Grachtrup und Sönke Möhl

Tuttlingen/Stuttgart - Ein Polizeipräsidium in der Nähe verspricht kurze Wege und vermittelt Sicherheit. Daher ist die Enttäuschung in Tuttlingen nach der Entscheidung der grün-schwarzen Koalition zur Überarbeitung der Polizeireform von 2014 groß. Tuttlingen - Heimat und Wahlkreis von Justizminister Guido Wolf (CDU) - soll künftig nicht mehr Sitz der Polizeiführung sein. Für Tuttlingen ist das schwer zu verdauen.

Für Landrat Stefan Bär (Freie Wähler) ist es ein Fehler, am Konstanzer Präsidium festzuhalten und das Tuttlinger fallen zu lassen. Außerdem hält er die Wirtschaftlichkeitsberechnung als Grundlage für die Entscheidung nicht für glaubhaft. „Mir tut es vor allem für die betroffenen Bediensteten der Polizei leid“, sagt Bär.

Der OB der Stadt mit knapp 35 000 Einwohnern, Michael Beck (CDU), sieht das ähnlich. Er vermisst vor allem eine schlüssige Begründung. Das Präsidium in Konstanz liege am Rande seines Zuständigkeitsbereiches. Deshalb wäre Tuttlingen seiner Meinung nach auch für den Schwarzwald-Baar-Kreis oder den Kreis Rottweil die bessere Wahl gewesen.

Matthias Braun vom Gewerbe- und Handelsverein Pro Tuttlingen sieht in der Polizeipräsenz ein wichtiges Thema für die Unternehmen. „Die Wege des Präsidiums werden weit.“ Es rücke ans äußerte Ende des Kreises. „Das könnte für uns ein Problem geben“, sagt er gestern. Zwar sei Kriminalität aktuell kein großes Thema, aber man merke, dass es in der letzten Zeit in der Innenstadt unruhiger werde.

Dabei hatte sich Justizminister Wolf mächtig für das Präsidium in Tuttlingen ins Zeug gelegt. Dann musste er sich geschlagen geben. „Da sich die Kommission klar gegen den Standort Tuttlingen ausgesprochen hat, haben wir eine schwierige Ausgangslage vorgefunden“, versucht er die Niederlage mit Blick auf ein Expertengremium zu erklären, nachdem die Regierungsfraktionen für 13 Präsidien und gegen den Standort Tuttlingen votiert haben. Der vom Innenministerium eingesetzte Expertenkreis hatte die Auflösung des Präsidiums in Tuttlingen empfohlen - zugunsten eines neuen Präsidiums in Ravensburg.

Durch Stuttgart wabern aber auch noch ganz andere Theorien - etwa, dass Innenminister Thomas Strobl (CDU) eine Rechnung mit seinem früheren Rivalen Wolf offen hatte. Vor der Landtagswahl 2016 hatte die Südwest-CDU per Mitgliederentscheid ihren Spitzenkandidaten gekürt. Das Rennen machte damals aber nicht Strobl, sondern überraschend Wolf, der da noch Landtagspräsident war. Strobl war tief von der Niederlage getroffen. Dann verlor die CDU mit Wolf an der Spitze deutlich die Landtagswahl. Wolf wurde Justizminister, während Strobl jetzt Innenminister und Vize-Regierungschef ist.

Wolf, der früher Landrat von Tuttlingen war, hatte zudem in seinem Kampf für den Standort Tuttlingen zahlreiche CDU-Politiker in Südbaden gegen sich, die ihrerseits den Wegfall des Präsidiums in Konstanz zugunsten von Tuttlingen fürchteten. Immerhin pocht die CDU-Landtagsfraktion darauf, dass Tuttlingen für den Wegfall seines Präsidiums eine Kompensation erhält. Wie die aussieht, ist noch offen - denkbar wäre etwa eine neue Ausbildungsstätte für Polizisten.