Müder Stratege: Kretschmann nach einer langen Jamaika-Verhandlungsnacht in Berlin. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Christopher Ziedler

Berlin/Stuttgart - Der einzige grüne Ministerpräsident mutet seiner Partei stets viel zu - auch in den zurückliegenden Sondierungswochen mit Liberalen und Union. Da mussten sich die Grünen, als sie gerade erst von einem fixen Enddatum für den Verbrennungsmotor abgelassen hatten, von Seiten der CSU anhören, dass ja schließlich auch der Baden-Württemberger Winfried Kretschmann das Jahr 2030 für einen „Schwachsinnstermin“ halte - Landesgruppenchef Alexander Dobrindt spielte damit genüsslich auf das heimlich aufgenommene Youtube-Video vom Grünen-Parteitag im Juni in Berlin an. Und dann bestätigte der regierungserfahrene Oberschwabe kürzlich in einem Interview mit der „Bild“-Zeitung auch noch, dass die Grünen Ansprüche auf die Ministerien für Energie, Landwirtschaft und Verkehr angemeldet haben. Die Partei war „not amused“.

Direkter Gesprächsfaden

Aber natürlich braucht die Partei Kretschmann in dieser heiklen Phase, da sich alles auf die flüchtlingspolitische Auseinandersetzung mit den von internen Machtkämpfen angefeuerten Christsozialen zugespitzt hat, besonders dringend. Niemand von den Grünen hat einen besseren Draht zum bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer als der Regierungschef des Nachbarbundeslandes Baden-Württemberg. „Mit Kretschmann könnte ich schon morgen ein Bündnis für ganz Deutschland machen“, hatte Seehofer schon während des Bundestagswahlkampfs verkündet. Nun, da genau dieses Bündnis in Frage steht, ist Kretschmann als eben jener Brückenbauer nach Bayern gefragt, der tiefe Gräben überwinden kann, aber der CSU mit einer klaren Positionierung auch signalisieren kann, „dass ein bestimmter Punkt nicht nur eine grüne Spinnerei ist“. Diese Rolle war, wie es im grünen Verhandlungsteam heißt, „auch von Anfang an so vorgesehen“ für den Baden-Württemberger.

Im Verlauf der entscheidenden Sondierungstage hat es bereits „einige“ direkte Gespräche zwischen Kretschmann und Seehofer gegeben, das vorerst letzte in der langen Verhandlungsnacht zum Freitag. Im CSU-Lager wird es als „kollegial und leichter als mit anderen Grünen, aber ergebnislos“ beschrieben. Kretschmann will weiterhin versuchen, dass sich das ändert. Im Lager des Ministerpräsidenten wird man nicht müde zu betonen, dass es ihm keinesfalls darum gehe, die Rolle der beiden grünen Chefverhandler, Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und Parteichef Cem Özdemir, in Frage zu stellen. Hilfreich will man vielmehr sein - nicht mehr und nicht weniger.

Dass Kretschmann bei einem Zustandekommen einer Jamaika-Koalition nicht als heimlicher Initiator gefeiert werden will, mag damit zusammenhängen, dass er umgekehrt erst recht nicht für ein Scheitern der Gespräche in Haftung genommen werden möchte. In diese Richtung zielt auch sein Hinweis, dass eine Verständigung mit den bayerischen Christsozialen ja nicht nur Aufgabe der Grünen sei, sondern es nun vielmehr an der CDU und deren Parteivorsitzenden Angela Merkel liege, ihre Schwesterpartei auf eine für alle potentiellen Koalitionspartner tragfähige Kompromisslinie zu bringen.

Attacke auf Scheuer und Dobrindt

Mit Kretschmanns Rolle in dem bislang beispiellosen Koalitionspoker mag sich auch sein Wutausbruch vom Mittwochabend erklären, als er auf Seiten der CSU ausdrücklich nicht seinen Ministerpräsidentenkollegen Seehofer kritisierte, mit dem er bei der Kompromisssuche möglicherweise schon weiter war, sondern Dobrindt und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, ins Visier nahm und den Verdacht formulierte, „dass diese Herren es gar nicht wollen, dass wir konstruktiv und erfolgreich verhandeln“. Von einem „Machtkampf in der CSU“, der die Verhandlungen blockiere, sprachen in der Nacht zu Freitag dann auch andere Grüne, was aus der CSU freilich als „absoluter Unsinn“ gebrandmarkt wird.

Winfried Kretschmann ist aber offenbar fest entschlossen, sich die Laune trotz der Rückschläge nicht verderben zu lassen. „Die Stimmung“, steht unter einem Selfie mit Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, das der in der Nacht auf Freitag verbreitet hat, „ist gut“.