Einmal klingeln wie die Landtagspräsidentin: Schülerin Sarah aus Wendlingen nimmt den Platz von Muhterem Aras ein. Quelle: Unbekannt

„Die Aufgabe der Opposition ist es, den Finger immer da in die Wunde zu legen, wo es der Regierung weh tut.“ „Für viele hat es einen Aha-Effekt, wenn sie ihr Schulwissen plötzlich in die Praxis umsetzen können.“

Parolen gegen die vermeintlich so selbstsüchtigen Politiker haben schon lange das Hoheitsgebiet der gesamtdeutschen Stammtische verlassen und Einzug in das Denken breiter Gesellschaftsschichten gehalten. In der Landeshauptstadt Stuttgart hält der Besucherdienst des baden-württembergischen Landtags dagegen. Jahr für Jahr führt das Team um Elisabeth Krause, die seit fast 25 Jahren mit dabei ist und heute den Besucherdienst leitet, 35 000 Menschen durch das Landtagsgebäude. Unter den Gästen sind auch 14 000 Schülerinnen und Schüler aller Schularten.

„Bei unseren Führungen geht es immer darum, Basiswissen über die Arbeit des Parlaments zu vermitteln“, sagt Krause. Beantwortet werden beispielsweise Fragen, welche Aufgaben Landtagspräsidentin Muhterem Aras und ihr Stellvertreter Wilfried Klenk haben, welche Rolle die Fraktionsvorsitzenden im politischen Alltagsgeschäft spielen, welche Fraktionen derzeit überhaupt im Landtag vertreten sind und wie Gesetze zustande kommen. „Dabei versuchen wir stets, die Besucher einzubeziehen“, betont Krause und spricht von „aktivierenden Führungen“.

An einem Freitag vor der Sommerpause besuchen Schüler der Anne-Frank-Schule aus Wendlingen den Landtag, die meisten von ihnen sind Sprecher und Sprecherinnen ihrer jeweiligen Klassen. Begleitet werden sie von ihrem Rektor Bernhard Seitzer und ihrer Lehrerin Uschi Neroladakis. Elisabeth Krause empfängt die Jugendlichen als eine der ersten Besuchergruppen im neuen Bürger- und Medienzentrum, erzählt ihnen, dass erst kürzlich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Neubau besucht hat, und führt sie über das Foyer des Landtags zur Lobby und weiter in den Plenarsaal.

„Wisst ihr, weshalb die Stufen so niedrig sind?“, fragt sie die Schüler, als sie die mit Teppichboden belegten Stufen hinauf zur Lobby gehen. Die Jugendlichen schauen sie fragend an. „Damit jeder, der hier heraufgeht, eine aufrechte Haltung hat. Auch die Damen in engen Röcken“, fährt Krause fort.

Von der Lobby aus haben Besucher durch große Glasscheiben einen guten Blick in den neu gestalteten Plenarsaal. Dort spielen die Schüler eine Plenarsitzung nach. Die 13-jährige Sarah sitzt zufällig auf dem Platz von Landtagspräsidentin Muhterem Aras und darf deshalb die Präsidentin spielen. Zu ihrer Unterstützung darf sie sich zwei Schriftführer auswählen. „Ihr helft der Präsidentin bei der Arbeit und passt auf, dass sie niemanden bevorzugt oder benachteiligt“, erklärt Krause den beiden ihre Aufgabe. Sie erzählt vom Ablauf einer Plenarsitzung, von den Aufgaben der Abgeordneten und der Regierung und wie anspruchsvoll die Arbeit der Stenografen ist. Später werden die 14-jährige Melissa und die 13-jährige Sarah begeistert berichten, dass sie sich die Führung im Vorfeld ganz anders vorgestellt haben. Langweiliger.

An Plenartagen dürfen die Besucher nach einer ungefähr 30 minütigen Einführung eine Stunde lang auf der Zuhörertribüne des Plenarsaals Platz nehmen. Mit etwas Glück erleben sie dabei den Auftritt von Ministerpräsident Winfried Kretschmann oder die Rede eines Ministers.

Eine Gruppe aus Villingen-Schwenningen hat dieses Glück. Krauses Kollegin Ingrid Kriesten bereitet die Gäste - die meisten von ihnen haben bereits das Seniorenalter erreicht - auf das vor, was sie gleich auf der Zuschauertribüne erwartet. Die Aussprache über die Krawalle und sexuellen Übergriffe beim diesjährigen Straßenfest in Schorndorf ist in vollem Gange. „Die Aufgabe der Opposition ist es, den Finger immer da in die Wunde zu legen, wo es der Regierung weh tut“, bereitet die Mitarbeiterin des Besucherdiensts die Gruppe auf eine lebhafte und kontroverse Debatte vor. Das sei aber üblich.

Die Aussprache ist jedoch so lebhaft, dass Landtagsvizepräsident Wilfried Klenk die Abgeordneten zur Ordnung ruft, was sehr selten geschieht. „Was macht das denn für einen Eindruck bei den Zuhörerinnen und Zuhörern“, mahnt Klenk, der die von der Fraktion der AfD beantragten Debatte leitet.

Nicht allen Besuchern können die Mitarbeiter des Besucherdiensts jedoch vermitteln, dass politischer Streit fester Bestandteil der parlamentarischen Demokratie ist. „Alle Politiker in einen Sack stecken und drauf hauen. Man trifft immer den richtigen“, beschreibt Norbert Muckle aus Villingen nach dem Aufenthalt auf der Zuschauertribüne seine Sicht auf die Dinge. Der Kampf von Elisabeth Krauses Team gegen Vorurteile gleicht manchmal dem sprichwörtlichen Kampf gegen Windmühlen.

Ist für viele die Stunde auf der Tribüne der Höhepunkt ihres Besuchs, so verweist Krause auf die Vorteile, die eine Führung außerhalb von Plenartagen hat. An diesen Tagen können die Besucher wie die Schülergruppe aus Wendlingen direkt in den Plenarsaal hinein, die Sitzplätze ihrer Wahlkreisabgeordneten suchen, darauf Platz nehmen und eine Stunde lang eine Plenarsitzung nachspielen. „Es ist mir wichtig, dass wir keinen langweiligen Vortrag über Politik halten, sondern Inhalte auf unterhaltsame Weise vermitteln“, sagt die Chefin des Besucherdiensts. „Für viele Menschen hat es einen Aha-Effekt, wenn sie ihr Schulwissen plötzlich in die Praxis umsetzen können.“ Es gehe darum, klassische Institutionenkunde gut zu verpacken.

Dass die Wendlinger Schüler bei ihrem Besuch im Landtag keine Plenarsitzung erleben, können sie leicht verschmerzen. Der Grund: Ihr Wahlkreisabgeordneter Andreas Schwarz aus Kirchheim, der Vorsitzende der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, hat die Gruppe nach ihrem Rundgang durch den Landtag noch zu einem Treffen ins benachbarte Abgeordnetenhaus eingeladen. Dort warten im Lina-Hähnle-Saal, dem Sitzungssaal der bündnisgrünen Landtagsfraktion, belegte Brötchen und Getränke auf die Gäste. Weil sich Schwarz verspätet - als Entschuldigung wird er später ein etwas länger dauerndes Gespräch über die bevorstehenden Haushaltsplanberatungen mit Finanzministerin Edith Sitzmann anführen - dürfen sich die Jugendlichen die Fraktionsräume der Grünen anschauen.

Obwohl Schwarz schon auf dem Sprung zum nächsten Termin ist, nimmt er sich für die Wendlinger Schüler Zeit. Geduldig beantwortet er die Fragen seiner Gäste. Beispielsweise, was ihm an seinem Beruf Spaß mache, wieviel er verdiene und welchen Schulabschluss man brauche, um Politiker zu werden. „Stimmt es, dass man als Abgeordneter auch mal seinen Mund aufmachen muss“, will ein Schüler wissen. „Na absolut“, antwortet Schwarz und der Jugendliche nimmt ein neues Berufsziel mit nach Hause: „Na dann wäre das doch etwas für mich“.

Zwar bietet der Besucherdienst die Führungen das ganze Jahr über an, doch gibt es meist eine Warteliste von mehreren Monaten. Vor allem die Schulen müssen sich sputen. Die Anmeldefrist für Schülergruppen beginnt nach den Sommerferien. Innerhalb von nur vier Wochen sind meist alle Termine für das gesamte Schuljahr ausgebucht. Einen weiteren Schub bei den Besucherzahlen verspricht sich Elisabeth Krause vom neuen Bürger- und Medienzentrum, das im Juni von Landtagspräsidentin Muhterem Aras gemeinsam mit dem langjährigen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert eingeweiht wurde. Laut Aras können jetzt noch mehr Menschen, vor allem mehr Schulklassen, ihr Landesparlament besuchen. „Künftig kann jährlich mehr als 40 000 Besucherinnen und Besuchern die Arbeit des Landtags gezeigt werden. Sie können hautnah dabei sein, wenn im Plenum debattiert und entschieden wird“, betont Aras. Zudem gibt es im neuen Bürger- und Medienzentrum dank der großen Säle Platz für Vorträge, Seminare und Pressekonferenzen. Eine Besonderheit des modernen Gebäudes ist eine Dauerausstellung, die mit analogen, digitalen, interaktiven und spielerischen Elementen alle Gäste über Arbeit, Aufgaben und Funktion des Parlaments informiert.

Tel. 0711 2063-228 oder -227

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