Damit die riesige Sonnenblume nicht umknickt, hat Ilse Foto: Sebastian Steegmüller - Sebastian Steegmüller

Cannstatterin freut sich über knapp fünf Meter hohe Pflanze.

Bad Cannstatt Immer wieder bleiben Fußgänger bei einem Spaziergang durch den Stadtteil Altenburg entzückt vor einem Wohnhaus stehen. Grund ist jedoch nicht die außergewöhnliche Farbe der Fassade oder gar ein großes Gemälde an der Hauswand, sondern eine riesige Sonnenblume, die dort in wenigen Monaten am Eingang in beachtliche Höhe gewachsen ist. „Ich schätze sie auf knapp fünf Meter“, sagt Ilse Wohlgemuth, die sich jeden Morgen über den Anblick freut. „Vor allem, dass so viele Bienen an den Blüten sind und auch Sperlinge regelmäßig zum Picken kommen.“

Eine Zeit lang habe sie Angst gehabt, dass der Stamm abknickt. „Daher habe ich ihn mit Schnüren gesichert.“ Generell habe sie die Sonnenblume gehegt und gepflegt. Sie rechne damit, dass sie noch weiter wächst. „Die Äste sind schön grün und einige Blüten noch gar nicht offen.“

Weltrekord liegt bei neun Metern

Auch mit einem enormen Wachstumsschub wird es jedoch für einen neuen Weltrekord wohl nicht reichen. Ein Hobbygärtner aus Karst in Nordrhein-Westfalen übertrumpft sich regelmäßig selbst. Sein aktueller Höchstwert aus dem Jahr 2014 liegt bei 9,17 Metern. „Doch auch die Sonnenblume in Bad Cannstatt ist außergewöhnlich“, sagt Volker Hahn von der Universität Hohenheim. An der Landessaatzuchtanstalt in Eckartsweiler bei Kehl beschäftigt er sich seit 20 Jahren mit Sonnenblumen und sucht nach pilzresistenten Sorten. Ein schweres Unterfangen. „Außer gesunde Sonnenblumen zu züchten, kann man fast nichts tun.“

Beim Blick auf die Ziersonnenblume von Ilse Wohlgemuth gerät er ins Schwärmen. „Mit ihren schönen Verzweigungen ist sie wirklich eine Augenweide“. Rein aus landwirtschaftlicher Sicht – auf diesem Gebiet forscht Hahn – sei diese Pflanze jedoch ungeeignet. Maximal zwei Meter groß, möglichst gerade und exakt eine Blüte seien die Vorgaben an eine Sonnenblume, um die Felder optimal bearbeiten zu können. „Gut zu dreschen sind Pflanzen zwischen 1,40 und 1,80 Meter.“ Außerdem müsse der Samen möglichst groß sein, um mehr Eiweiß und Öl gewinnen und so einen maximalen Ertrag erzielen zu können.

Der Ertrag sei auch der Grund, warum man kaum noch Sonnenblumenfelder in Deutschland sieht. Während es in Russland noch Tausende gibt, befürchtet Hahn, dass sie in Deutschland irgendwann ganz verschwinden werden. Die Bedingungen seien hier einfach nicht ideal. „Der oftmals feuchte Herbst ist schlecht für die Pflanzen.“ Um sie vor Krankheiten zu schützen, müsse man sie mit Pestiziden behandeln. Dies sei aber aufgrund der Höhe der Pflanzen mit Traktoren nur schwer möglich. Deutlich „wirtschaftlicher“ könne man beispielsweise Weizen anbauen und so entsprechend mehr verdienen. Weil sich die politischen Rahmenbedingungen verändert haben und die Sonnenblume in der Landwirtschaft weniger gefragt ist, hat auch Hahn sein Forschungsfeld verlagert. „Wir arbeiten mehr an Sojabohnen“, sagt der Wissenschaftler, der sich nach wie vor für Sonnenblumen begeistern kann. Eine Lieblingssorte hat er trotz vollmundiger Namen wie Ring of Fire, Sunrich Orange, Titan oder King Kong nicht. „Mir gefällt einiges.“

Drei Meter tief verwurzelt

Ilse Wohlgemuth hat ihren Liebling natürlich längst gefunden. Warum die Sonnenblume ausgerechnet in diesem Jahr so in die Höhe geschossen ist, kann auch der Wissenschaftler von der Uni Hohenheim nicht genau begründen. Um zu wachsen, benötigt die Pflanze grundsätzlich viel Wasser und viele Nährstoffe. Außerdem dürfe der Boden nicht verdichtet sein. „Sonnenblumen können ihre Wurzeln zwei bis drei Meter tief in die Erde graben und kommen so in Bereiche, in die viele andere Pflanzen nicht vorstoßen.“

Auf einen speziellen Dünger, wie der Weltrekordhalter aus Karst, greift Ilse Wohlgemuth nicht zurück. Des Weiteren setze sie im Frühjahr auch keine Samen ein. „Ich lasse die Natur das alles regeln und mische mich nicht ein“, sagt die 87-Jährige. Einen Trick verrät sie dann aber doch noch. „Man muss mit den Pflanzen sprechen und sie streicheln.“