Das ziellose Umherwandern ist oft ein Symptom bei demenzkranken Menschen. Die genaue Ursache ist noch immer nicht geklärt. Oft sind es Gewohnheiten aus der Vergangenheit, die erneut durchlebt werden. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Demenz ist eine Herausforderung für alle Beteiligten. Die Symptome der Krankheit reichen vom Verlust des Gedächtnisses bis zu Einschränkungen der Motorik und Sprache. Zusätzlich entwickeln einige einen zwanghaften Bewegungsdrang. Pflegeeinrichtungen gehen daher besonders vorsichtig mit dementen Bewohnern um. Dennoch können gefährliche Situationen entstehen, wenn ein Betroffener entläuft. Wie im Fall eines 81-Jährigen aus Sommerrain, der seit Donnerstagabend vermisst wird.


Von Erdem Gökalp
In seltenen Fällen schaffen es Demente, von ihrer Aufsicht unbemerkt, den Wohnsitz zu verlassen. So auch der 81-Jährige aus Sommerrain. Zuletzt wurde er am Donnerstag im Pflegeheim im Fuchsienweg gesehen. Seitdem gilt er als vermisst. Da er durch seine Demenz orientierungslos ist, vermutet die Polizei, dass er sich in einer hilflosen Lage befindet. Trotz des Einsatzes von Hubschraubern und Spürhunden konnte der Mann bislang noch immer nicht gefunden werden.
Die genaue Ursache, warum Menschen mit Demenz den Drang haben, sich zu bewegen, ist nicht geklärt. Oft sind es individuelle Gewohnheiten, die mit der Krankheit verstärkt auftreten. Pflegeeinrichtungen gehen daher in der Regel sorgfältig mit diesem Bedürfnis um, um eine Gefahr abzuwenden. Das ist nicht immer einfach. „Es ist ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit“, sagt Susanne Sieghart, Bereichsleiterin der Seniorenhilfe des Anna-Haag-Mehrgenerationenhauses. Denn die Freiheit des Menschen ist zwar in Artikel 2 des Grundgesetzes als „unverletzlich“ geschützt, gleichzeitig müssen Einrichtungen die Sicherheit ihrer Bewohner gewährleisten. Beide Aspekte zu verbinden, ist nicht immer einfach.
Oft durchleben Betroffene beim Herumlaufen Szenarien aus der Vergangenheit. „Ein ehemaliger Bewohner hat beispielsweise immerzu davon geredet, aus der Gefangenschaft davonzulaufen“, sagt Markus Bartl, Leiter des Seniorenzentrums Villa Seckendorff. Wie sich herausgestellt habe, sei er früher tatsächlich in Gefangenschaft gewesen. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, sei die sogenannte Biografiearbeit wichtig. Dabei versuchen sich die Pflegekräfte, in die individuelle Lage des Bewohners hineinzuversetzen und erforschen oft mithilfe der Angehörigen die Vergangenheit des betroffenen Seniors.
Die Herangehensweisen in Pflegeeinrichtungen – auch in Bad Cannstatt – sind zum Teil ganz unterschiedlich. Im Anna-Haag-Mehrgenerationenhaus herrscht beispielsweise die Devise, keinerlei Fixierung oder Sedierung anzuwenden, da dies ein zu starker Eingriff in die Freiheit sei. „Wenn die Menschen mit Medikamenten ruhig gestellt oder an ein Bett fixiert werden, besteht oft ein größeres Unfallrisiko“, sagt Susanne Sieghart.
Markus Bartl von der Villa Seckendorff hält es zudem für wichtig, auf den Bewegungsdrang der Personen einzugehen, statt sie zurückzuhalten. So haben die betroffenen Personen bei ihm einen speziellen Melder am Körper. Sobald sie die Grenzen der Einrichtung verlassen, wird den Mitarbeitern Alarm gemeldet. „Meistens rennt dem Bewohner dann jemand hinterher und sie drehen gemeinsam eine Runde“, sagt Bartl. Sie zurückzuhalten, sei keine Lösung. Die Anbringung eines Melders oder auch eines GPS muss jedoch vorher ausdrücklich mit der Person oder den Angehörigen abgesprochen werden.
In der Seniorenresidenz des Evangelischen Vereins in der Brunnenstraße versucht man zudem, die Wanderlust mit verschiedenen Beschäftigungen aufzufangen. „Dennoch passiert es auch mal, dass jemand das Gebäude verlässt“, sagt eine Mitarbeiterin. Viele der Bewohner seien aus Bad Cannstatt und kennen sich daher trotz der Demenz instinktiv gut aus im Stadtbezirk. Bisher seien alle Betroffenen wieder aufgetaucht.