Waldheim-Urgesteine in der Lerchenheide: Aurelio, Mareike, Cecilia, Mateo und Phillipp Gottschlich (von links). Foto: Steegmüller - Steegmüller

Schon als Fünfjähriger war Philipp Gottschlich im Ferienwaldheim Lerchenheide. Inzwischen ist er 30 und immer noch dabei – mit der Familie. „Ein Sommer ohne Waldheim ist kein Sommer.“

Bad CannstattV

ier Sommerwochen lang wuselt und brummt es in den acht katholischen Waldheimen in Stuttgart. Insgesamt 1300 Kinder erleben Abenteuer vor der Haustür: mit Waldrallye, Geländespielen, Bastelnachmittagen, Barfußrennen und gemeinsamen Ausflügen. Für viele Stuttgarter Kinder gehört das Waldheim zum Sommer dazu – aber auch für viele Erwachsene. Die Gottschlichs sind zu einer festen Institution im Waldheim Lerchenheide geworden, zu so etwas wie einer Waldheimfamilie. Die Eltern sind als pädagogische Leiter und Betreuer dabei, die Kinder als Teilnehmer. „Mit fünf Jahren war ich als Kind zum ersten Mal im Waldheim. Ein Sommer ohne diese Gemeinschaft ist für mich kein richtiger Sommer“, sagt der inzwischen 30 Jahre alte Erzieher und Sozialarbeiter Philipp Gottschlich.

Das Frühstück ist abgeräumt, die letzten Tische werden gerade abgewischt. Langsam wird es ein wenig ruhiger im dem großen Gemeinschaftsraum im Waldheim Lerchenheide. Die sechsjährigen Mädchen holen ihre Trinkflaschen aus dem Rucksack und prüfen den Inhalt: Apfelschorle, Wasser, kalter Tee – genug Flüssigkeit für einen heißen Augusttag. Lisa und ihre Freundinnen sind startklar für den Ausflug auf den Spielplatz, den sie heute mit Philipp Gottschlich unternehmen werden. Ein Vormittag mit Klettergerüsten, Rutsche und vielen Spielen steht bevor, die Mädchen freuen sich. Philipp Gottschlich auch. Der 30-Jährige Sozialarbeiter kommt seit 25 Jahren jeden Sommer ins Waldheim. Er war Waldheimkind, Hilfsbetreuer, Betreuer, inzwischen ist er im Hauptberuf Leiter einer Kindertagesstätte und im Ehrenamt pädagogischer Leiter im Waldheim Lerchenheide. „Über die Jahre ist eine Gemeinschaft gewachsen, die ich nur hier erlebe.“

Der 30-Jährige erklärt die Waldheimwelt. „Die Wochen in der Lerchenheide fühlen sich an wie auf einer Insel. Wir sind zwar in Bad Cannstatt, dem Stadtbezirk, in dem wir auch wohnen, aber wir kriegen nichts davon mit.“ Vor 13 Jahren hat Philipp Gottschlich im Waldheim seine Frau Mareike kennengelernt, ihre Hochzeitsfeier haben sie natürlich in der Lerchenheide gefeiert. Die Gäste kamen mit dem Waldheimbus, so wie in den Sommerwochen die Waldheimkinder anreisen. Die älteste Tochter Cecilia war mit acht Monaten im Tragetuch zum ersten Mal dabei. Auch die beiden Söhne haben als Babys im Reisebettchen im Bastelzimmer der Lerchenheide ihren Mittagsschlaf gemacht und sind danach von den anderen Kindern herumgetragen worden.

Für die heute neunjährige Cecilia und ihre Brüder Mateo und Aurelio ist das Waldheim schon jetzt der Höhepunkt des Jahres. „Einmal haben wir tatsächlich überlegt, das Waldheim ausfallen zu lassen, aber für die Kinder war das undenkbar. Die haben sofort protestiert“, erzählt Mareike Gottschlich. Auf die Frage, was ihm in der Lerchenheide gefalle, antwortet der sechsjährige Mateo: „Einfach alles.“ Cecilia findet es gut, so viele Kinder um sich herum zu haben und dann jeden Tag die Meerschweinchen, Kaninchen und Schildkröten zu füttern, die auf dem Gelände leben. Auch beim Putzen des Waldheims packt die Neunjährige mit an, weil es ihr gefällt, bei den Großen dabei zu sein. Für sie steht schon fest, dass sie als Jugendliche Betreuerin werden möchte.

Auch die Waldheimleiterin Sabine Kraus hat Familienanschluss in der Lerchenheide: In der Küche ist ihr Schwiegersohn Roman Franke gerade dabei, zusammen mit den Küchenhelfern zwölf Kilogramm Spinat, 40 Kilogramm Kartoffelbrei und große Mengen Rührei für die 130 Kinder zuzubereiten. Sabine Kraus ist seit 30 Jahren für die Organisation in dem Cannstatter Waldheim verantwortlich, sie hat erlebt, dass Kita-Kinder plötzlich da standen, weil sie unbedingt mit den Großen ins Waldheim wollten, dass Kinder geweint haben, weil die Waldheimwochen vorbei waren und sie hat andere getröstet, die zu ihrer Mutter nach Hause wollten. Was sich verändert hat in all den Jahren? „Der Medienkonsum der Kinder nimmt immer mehr Raum ein. Vor allem für die Älteren ist das Smartphone nicht mehr wegzudenken.“

Dennoch erlebt die 56-Jährige Erzieherin jedes Jahr aufs Neue, wie sich die älteren Kinder über ganz einfache Dinge freuen. Zum Beispiel darüber, dass sie als 13- und 14-Jährige endlich mit zum Zelten dürfen. „Darauf haben die Kinder vor 30 Jahren hin gefiebert und tun es auch heute noch.“ Und sie erlebt auch, dass viele Kinder dem Waldheim auch als junge Erwachsene treu bleiben. „Wir haben immer genügend Jugendliche, die dann zu ehrenamtlichen Betreuern werden und die entsprechenden Schulungen gerne mitmachen“.

Viele der 150 Kinder in der Lerchenheide in Bad Cannstatt sind inzwischen ausgeschwärmt – zum Spielplatz, in den Wald, ins Schwimmbad. Ein paar der jüngeren Mädchen und Jungen sind noch im Gemeinschaftsraum geblieben, basteln dort Mobile aus Stöcken, Eicheln, Zapfen und was sie sonst noch im Wald gefunden haben. Am anderen Tisch malen die sechsjährige Michelle und die anderen Kinder ihrer Gruppe Bilder zum Thema Wald. Sie überlegt lange, was sie malen soll. Einen Wolf? Am Ende wird es eine Schlange. „Die bringt Abenteuer genug“, findet Michelle. red