Rund 100 Aktivisten besetzten am Donnerstag für mehrere Stunden den Gebäudekomplex Ecke Veielbrunnenweg. Foto: Eisenmann - Eisenmann

Nachdem Donnerstagabend Aktivisten eigenen Angaben zufolge ein Haus in der Daimlerstraße 100 besetzt haben, leitet die Stadt nun weitere Schritte ein.

Bad Cannstatt Auf den ersten Blick hätte es auch ein Fest wie viele andere sein können. Überwiegend junge Leute saßen am Donnerstagabend auf Bierbänken im Hof des heruntergekommenen Gebäudeensembles in der Daimlerstraße/Ecke Veielbrunnenweg. Es wurde gegrillt, man prostete sich mit Bierflaschen zu, es wurde viel gelacht. Und doch war dieses „Fest“ anders. Denn die bis zu 100 Personen protestierten mit ihrer Aktion, die sie selbst als „Hausbesetzung“ bezeichneten, gegen Mietwucher und Wohnungsnot in Stuttgart. Mit Kreide hatten die Aktivisten „Wohnraum für alle“ auf das Pflaster geschrieben. Die Wände des bröckelnden Putzes zierten Forderungen wie „Spekulanten vertreiben“ und „Leerstand mit Leben füllen“.

Der Zeitpunkt für die Aktion war bewusst gewählt: Am Nachmittag hatte der Stuttgarter Gemeinderat das Thema Wohnbaupolitik diskutiert. Und auch das „Objekt“ hatten sich die Teilnehmer des Protests bewusst ausgesucht: Das Haus in der Daimlerstraße befindet sich in städtischem Besitz, steht seit Jahren leer und soll abgerissen werden. In einem Antrag im Bezirksbeirat Bad Cannstatt hatten auch die Christdemokraten die Stadt unlängst aufgefordert, das Haus zu sanieren und zu vermieten. Das Bürgergremium stimmte dem Anliegen zu und erweiterte die Forderung: Falls möglich, sollen die beiden direkt angebauten Gebäude Veielbrunnenweg 23 und 25 ebenfalls vor dem Abriss bewahrt werden.

Sofortiges Handeln gefordert

Auch die Aktivisten verlangten am Donnerstagabend, den Komplex zu erhalten, sofort zu sanieren und im Gebäude Sozialwohnungen bereitzustellen, so der Sprecher des Aktionsbündnisses „Recht auf Wohnen“, Paul von Pokrzywnicki. Von Seiten der Stadt Stuttgart forderte er „schnelle und verbindliche Zusagen“. Die Verwaltung dürfe nicht nur mit „Lippenbekenntnissen und Sonntagsreden“ glänzen. Bis Mitternacht, so hatten die Aktivisten zu Beginn angekündigt, werde man das Gelände wieder verlassen haben.

Nach Angaben der Polizei, deren Beamte die Geschehnisse von der gegenüberliegenden Straßenseite aus beobachteten, löste sich die Versammlung gegen 22.15 Uhr auf. Ob die Aktion für die Beteiligten strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen wird, werde derzeit noch geprüft, hieß es gestern. Nach einer ersten Einschätzung der Polizei geht diese nicht von einer „Hausbesetzung“ aus, sondern sprach zunächst nur von einem möglichen „Hausfriedensbruch“.

Für Thomas Zügel, Leiter des Amts für Liegenschaften und Wohnen, ist das Thema „Daimlerstraße 100“ nicht neu , zumal der Veielbrunnen seit Jahren als Sanierungsgebiet ausgewiesen ist. Doch angesichts der Dynamik, die das Thema in den vergangenen Tagen bekam, würde es ihn nicht überraschen, wenn sogar noch vor der Sommerpause eine entsprechende Vorlage über das weitere Vorgehen seitens des Baureferats im Technikausschuss präsentiert wird. Und die mutmaßliche Hausbesetzung? „Ob es sich um eine solche gehandelt hat oder ob es nur eine Demo davor war, das wird geprüft“, so Thomas Zügel.

Abriss oder Sanierung? Das Thema gärt schon lange. Genau genommen seit Juli 2011. Damals stellte das Stadtplanungsamt dem Bezirksbeirat neue Wegebeziehungen im Veielbrunnengebiet vor. Unabhängig davon wollte die Stadt das Wohnquartier natürlich auch optisch aufwerten. In diesem Zusammenhang wurden drei Gebäude unter die Lupe genommen: die Daimlerstraße 100 sowie der Veielbrunnenweg 23 und 25. Alle wurden laut Stadtplanungsamt Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut und 2007 von der Stadt erworben. Der Grund: Die Stadt benötigte damals Platz für das Mobilitäts- und Erlebniszentrum. Die Verwaltung wollte die drei Gebäude abreißen lassen, zumal ein Gutachten damals ergeben hatte, dass eine umfassende Modernisierung der drei Häuser mit zusammen gut 2,2 Millionen Euro zu teuer wäre. Diese Beurteilung kam beim Bezirksbeirat überhaupt nicht gut an, zumal der Technikausschuss einem Abriss der drei Gebäude ebenfalls nicht zugestimmt hatte.

Vier Jahre später starteten die Grünen den nächsten Rettungsversuch. Die Gemeinderatsfraktion hatte eine Anfrage zum Gebäude an der Daimlerstraße 100 gestellt. Die Stadträte fordern darin, den bereits im Jahr 2011 gefassten Beschluss zu dem städtischen Wohngebäudeensemble Daimler Straße 100/Veielbrunnenweg 23/25 einzuhalten. Kurz darauf meldete sich auch die Architektenkammer, die aus „bauhistorischen Gründen“, aber auch „mangels preiswertem Wohnraum“ für den Erhalt und die Sanierung plädierte.