Quelle: Unbekannt

Ziel einer Reise sind sie nur selten, aber ohne sie geht es oft auch nicht: Rund 360 Autobahn-Tankstellen gibt es in Deutschland. Ihnen hat der Cannstatter Autor Rainer Wochele ein literarisches „Denkmal“ gesetzt: „An der Raststätte. Eine Exkursion“ heißt sein neues Buch, das von Menschen erzählt, die auf der Autobahn 8 unterwegs sind.

Herr Wochele, wie kommt man auf die Idee, einen Roman rund um das Geschehen an einer Raststätte anzusiedeln?

Vom Leben auf den Raststätten, vom Kommen und Gehen und von dieser großen Ansammlung an Lastwagen war ich schon immer fasziniert. Es stand zwischenzeitlich sogar die Überlegung im Raum, dass ich mit einem LKW Richtung Osten fahre, Daimler hatte mir bereits einen Fahrer an die Hand gegeben. Letzten Endes hat es sich jedoch als nicht notwendig herausgestellt.

Gibt es literarische Vorbilder? Waren Autobahn und Raststätte jemals zuvor Schauplatz eines Romans?

So viel ich weiß, gab es bislang nichts Entsprechendes. Ein Germanist aus der Schweiz hat den Vergleich mit „Berlin, Alexanderplatz“ von Alfred Döblin gezogen, der mich etwas beschämt, weil er doch sehr hoch angesetzt ist. Aber von der Struktur und Dramaturgie ist es durchaus vergleichbar. Auch eine Raststätte ist ein Ort, an dem sich verschiedene Biografien überschneiden.

Eine andere Kritik: Der Publizist Anton Hunger hat über Ihr Buch geschrieben, Sie hätten die „Erotik von Autobahnraststätten“ entdeckt. Erotische Gedanken dürften allerdings nur wenige tatsächlich mit Raststätten verbinden…

Ich schätze Toni Hunger, den früheren Presse-Chef bei Porsche, sehr und habe mich über die Äußerung gefreut, weil sie durchaus einen Nerv trifft. Ich beschreibe ja nicht nur, sondern gehe auch in die emotionale Ebene hinein, in dem ich die Biografien vorstelle – beispielsweise erfährt man einiges über die Frau, die an der Theke arbeitet.

Wie sind Sie beim Schreiben des Buches vorgegangen? Saßen Sie wochenlang in Raststätten und haben Anwesende beobachtet?

Ich habe mir die Raststätte am Albaufstieg sehr genau angesehen. Der dortige Leiter erzählte mir Begebenheiten, die man sich selbst gar nicht ausdenken kann. Dazu gehört die Geschichte eines Reisebusses, aus dem 50 nackte Männer heraus springen und in den Wald rennen. Hinterher stellte sich heraus, dass es sich um eine Wette gehandelt hat. Das ist beispielsweise ein Ertrag meiner Recherchen.

Ihr Buch ist eine Collage. Auf ein, zwei Seiten erzählen unterschiedliche Protagonisten, was sie erlebt haben, was in ihnen vorgeht. Das geht über die Ehefrau, die mit einem Seitensprung liebäugelt, über den ehemaligen Landtagsabgeordneten, der sich neuen Aufgaben widmen will, bis zu Freizeit-Imkern auf dem Weg zum Vortrag in Hohenheim. Lastwagen-Fahrer und Raststätten-Mitarbeiter geben ebenfalls Einblicke in ihr Seelenleben. Hat es Sie nicht gereizt, einer dieser Figuren mehr Platz einzuräumen?

Man hat mir schon gesagt: Schreib’ doch mehr über die einzelnen Personen. Aber ich vertraue auf meine Einfälle und mein Grundkonstrukt. Und dieses besagt: Bleib’ bei den kurzen Passagen. Der Leser ist dann aufgefordert, die Geschichte weiter zu spinnen und im Kopf fortzuführen.

Haben Sie sich selbst denn auch in einer Figur verewigt?
Nur am Rande. Es gibt eine Passage, in der sich ein Ehepaar die Anschaffung eines Tandems überlegt. Die Gattin ist dagegen und sagt immer, sie setze sich nicht auf dieses Gefährt, während der Gatte sie mit dem Argument überzeugen will, dass es gut für die Ehe wäre und ‚Tandem-Paare’ länger zusammenblieben. Meine Frau und ich sind beide leidenschaftliche Tandem-Fahrer – und das seit vielen Jahren.

Ihr Buch enthält neben den Schicksalen der Personen auch Fremdtexte, darunter Auszüge über die Anfänge des Autobahnbaus sowie kurze Beschreibungen von Fahrzeug-Neuheiten. Was wollten Sie damit ausdrücken?
Mir sind die Rückblicke auf die Historie wichtig. Die Autobahnen waren ein Projekt der NS-Zeit, Fritz Todt, der damals die Arbeiten betreute, erklärte, man werde noch in 1000 Jahren auf diesen fahren. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass jeder fünfte Arbeiter beim Bau der Autobahnen zu Tode gekommen ist. Ein großer Teil ruinierte sich durch die harte Arbeit die Gesundheit, viele erkrankten an der „Schipperkrankheit“, bei der es zu Ermüdungsbrüchen im Hals- und Brustwirbelbereich kam. Im Gegensatz zum weit verbreiteten Meinungsbild gab es die ersten autobahnähnlichen Schnellstraßen aber bereits in den 1920er-Jahren – so wie die AVUS in Berlin. Die Texte aus der Automobilwerbung verweisen auf den Stellenwert des Autos in unserer Gesellschaft und setzen zusätzliche Akzente.

Nach dem Buch ist vor dem Buch – was haben Sie als nächstes geplant?
Ich werde ein altes Theaterstück von mir in Prosa umschreiben. Der Titel lautet: „Die Exporteure“. Es geht um eine Gruppe von Wissenschaftler, die in einem arabischen Land an einer Giftgasfabrik mitgearbeitet haben und die dann gezwungen werden, an einem Experiment teilzunehmen und selbst in die Gaskammer zu gehen.

Die Fragen stellte Andrea Eisenmann.