Wagemutige Reitkunst: Über dem Pferd liegend im Galopp. Foto: Petra van der Velde (z) - Petra van der Velde (z)

Im Weltweihnachtscircus begeistern sechs Kosakinnen mit ihrer waghalsigen Artistik zu Pferde.

Bad CannstattSie galoppieren in höchstem Tempo durch die Manege, die sechs kosakischen Reiterinnen. Sie zeigen Artistik zu Pferde, die sonst nur Männer vorführen. Es ist eine mitreißende Vorstellung, die die Zuschauer staunen lässt. Denn so schnell wie die Reiterinnen vom Pferd springen und dann wieder auf dem Pferderücken landen, ist kaum festzustellen. Temperament pur, Geschwindigkeit und Präzision. Das schlägt durch wie ein Blitz und verbreitet Energie.

Und das ist es auch, was die Gruppe erreichen will, wie ihr Chef, Ruslam Gazzaev erklärt, der mit Anastasia Ivanova zum Gespräch gekommen ist. Gazzaev stammt aus Südrussland nahe dem Kaukasus. Er hat viele Jahre als Dschigit gearbeitet und diese Reitkunst selbst vorgeführt. Aus gesundheitlichen Gründen ist er jetzt nicht mehr aktiv, sondern kümmert sich um die Gruppe. Die 28-jährige Ivanova stammt aus St. Petersburg. Ihre Mutter ist Zirkuskünstlerin, Luftakrobatin. Und ihr Hobby war schon immer das Reiten. Dieses Hobby hat sie zum Beruf gemacht. Seit 16 Jahren ist sie in der Gruppe dabei.

Adrenalin und Geschwindigkeit

„Manche Tricks können die Reiterinnen besser als die Männer“, erklärt Gazzaev. Beispielsweise können sie unter dem Pferderücken durchkriechen im Galopp und dabei durch einen brennenden Reifen klettern. Im Weltweihnachtscircus ist die Nummer nicht zu sehen, aber in anderen Aufführungen. Doch auf dem Wasen bringen die Reiterinnen mehr als Feuer in die Manege: die Leidenschaft und Liebe für die Pferde.

Ivanova gefällt an der Vorführung „das Adrenalin, die Geschwindigkeit, die Gefühle und die Begeisterung des Publikums“, sagt sie. Das gebe ihr viel Energie.

Gazzaev hingegen befindet sich immer unter Strom, wie er sagt. Immer in Sorge, dass nichts passiert. Er ist froh, große Unfälle gab es bislang noch nicht, keine schlimmen Verletzungen. Dafür wird jeden Tag trainiert, mit und ohne Pferd. Denn die Reiterinnen müssen auch von der Muskulatur her gut trainiert sein, damit sie problemlos die Artistik schaffen: Salti auf dem Pferderücken und neben dem galoppierenden Pferd, sich über den Sattel legen. Vom dahin fliegenden Pferd Tücher vom Boden aufnehmen. Alles rasant und waghalsig.

Das alles soll so schnell gehen, dass das Publikum nicht mehr versteht, was passiert ist und der „Wow-Effekt“ eintritt, wie Gazzaev sagt.

Während Ivanova auch Luftakrobatin ist und sich auch mit der Freiheitsdressur der Pferde beschäftigt, kommen die anderen kosakischen Reiterinnen von Sportschulen, andere aus dem normalen Leben ohne Zirkus-Hintergrund. Die Gruppe ist ganz gemischt. Die Pferde, die in der Manege auftreten, sind gemischte Rassen: holländische Arten sind dabei, aber auch russische Rassen wie Altai-Pferde, die in den Altai-Bergen Zentralasiens entwickelt wurden. Diese Pferde gelten als zäh, trittsicher und widerstandsfähig. Durch ihre enorme Tragkraft, bis zu 160 Kilogramm und die Trittsicherheit im Gebirge gelten diese Pferde in ihrer russischen Heimat als ein geschätzter und unverzichtbarer Lastenträger. Im Weltweihnachtscircus erleben sie flinke Frauen, die artistisch leicht wie Federn springen und sich im Rhythmus zum Pferd umherwirbeln.

„Jede Reiterin hat ihr Pferd, welches den Charakter der Frau aufnimmt“, sagt Gazzaev. Eigentlich ist es keine kosakische Reiterei, sondern die der Dschigiten, erklären die Artisten. Die Dschigiten waren ursprünglich berittene Krieger, die sich durch große Gewandtheit in der Beherrschung des Pferdes, in Ausdauer, Kühnheit und Geschicklichkeit während des Kampfes auszeichneten.

Nach Monte Carlo eingeladen

Unter Dschigitowka verstand man später dann das wilde Reiten der Kosaken, bei dem sie im vollen Lauf ihre Gewehre abfeuern, sich unter dem Leib des Pferdes verbargen, herabsprangen und wieder aufsprangen. Das schnelle Herab- und wieder Aufspringen wird auch hier in der Manege gezeigt und das unter dem Leib des Pferdes herumklettern.

Östlich des Kaukasus wurden die Kirgisen und übrigen Nomaden, die sich gegen Sold den Russen anschlossen, laut Wikipedia, Dschigiten genannt. Sie dienten als Ordonnanz und als Kundschafter. Vermittelt über den russischen Zirkus ist dann der Begriff Dschigiten-Reiterei zur Bezeichnung für eine Gattung des akrobatischen Kunstreitens geworden, bei dem die Pferde im Kreis galoppieren.

Und die Artistinnen zeigen während des Galopps ihre Sportlichkeit und Behendigkeit. Die Kostüme, die sie tragen, sind in russischem Stil mit modernem Anstrich. Gia Eradze hat auch hier seine Vorstellungen mit eingearbeitet.

Nach dem Weltweihnachtscircus geht die Gruppe nach Monte Carlo zum Internationalen Zirkusfestival. Und dort werden die sechs Reiterinnen sicherlich auch den „Wow“-Effekt erzielen, wie hier im Weltweihnachtscircus auf dem Cannstatter Wasen. Immer im Bewusstsein: Niemand sonst macht in dieser Geschwindigkeit solcherlei Vorführungen. Nur die dschigitischen Reiterinnen.