Stefanie Ritzmann Foto: Claudia Tomann (z) - Claudia Tomann (z)

Die Lebensgeschichte von Stefanie Ritzmann ist besonders. Sie kam wegen des ihrer Mutter verabreichten Medikaments „Contergan“ mit starken körperlichen Behinderungen zur Welt und sitzt Zeit ihres Lebens im Rollstuhl.

Bad CannstattDie Lebensgeschichte von Stefanie Ritzmann ist besonders. Sie kam wegen des ihrer Mutter verabreichten Medikaments „Contergan“ mit starken körperlichen Behinderungen zur Welt und sitzt Zeit ihres Lebens im Rollstuhl. Im Alter von zehn Tagen gab ihre Familie sie in ein Heim. Doch die Frau ist eine Kämpfernatur, hat eine Lehre zur Bürokauffrau gemacht und in Karlsruhe den ersten kommunalen Behindertenbeirat in Baden-Württemberg mitgegründet. Über ihre Lebensgeschichte hat sie 2018 das Buch „Weglaufen? Geht nicht!“ geschrieben. Im Gespräch mit unserer Zeitung erzählt Stefanie Ritzmann, wie es dazu kam.

Frau Ritzmann, Sie haben Zeit ihres Lebens für ein selbstständiges Leben gekämpft, eine schwere Aufgabe?
Ja. Von außen betrachtet kann es unheimlich schwer wirken, aber man wächst hinein. Es war schwierig sich den Eltern und auch Menschen zu widersetzen, die denken sie wüssten es besser als ich. Aber ich habe ganz viele Menschen getroffen, die mich aufgrund meines Charakters mochten, liebevoll zu mir waren und mich unterstützt haben.

Um Menschen mit einem ähnlichen Schicksal zu unterstützen, haben sie zehn Jahre lang den Behindertenbeirat in Karlsruhe geleitet, wie kam es dazu?
Der Beirat wurde von der SPD initiiert. Ich war von Anfang an dabei. Ich dachte mir „schimpfen kann jeder“, aber wenn ich schimpfe, dann muss ich auch etwas tun.

Wie sah die Arbeit dort aus?
Als Leiterin habe ich versucht alle Beirats-Mitglieder unter einen Hut zu bringen. Stark ist man vor allem gemeinsam. Wir waren ständig in Gesprächen mit der Stadt und der Politik und haben für unsere Rechte gekämpft.

Haben Sie das Gefühl, etwas erreicht zu haben?
Auf jeden Fall. Wir haben viel für die Barrierefreiheit in öffentlichen Gebäuden getan. Selbst solche, die unter Denkmalschutz stehen, haben mittlerweile einen barrierefreien Zugang. Und wir haben bei der Stadt das Gefühl geschaffen, dass sie mit uns – den Experten – über uns betreffende Themen sprechen muss.

Was gibt es am Umgang mit behinderten Menschen noch zu verbessern?
Generell wünsche ich mir, dass man mit seinem Gegenüber sensibler umgeht. Da spielt es auch gar keine so große Rolle, ob jemand behindert ist oder nicht, da man es oft ja auch nicht direkt sieht.

Über ihre Lebenserfahrungen haben Sie ein Buch geschrieben. Wie kam es zu dieser Idee?
Es war schon immer mein Wunsch, ein Buch zu schreiben, da ich aus einer Verlegerfamilie komme. Ich habe auch schon Gedichte geschrieben, die ich in einem Sammelband namens „Melodie des Lebens“ verschenkt habe. Die Autobiografie allein zu schreiben, habe ich mir allerdings nicht zugetraut. Deshalb habe ich die Autorin Beate Rygiert kontaktiert.

Wie lief der Schreibprozess dann ab?
Wir haben uns eigentlich fast jede Woche einmal getroffen und uns zusammengesetzt. Beate Rygiert hatte immer ihren Laptop und ihr Diktiergerät dabei. Sie ist sehr nach meiner Sprache gegangen, hat meinen Humor gut erfasst und immer nachgefragt, ob alles auch in meinem Sinne ist.

Was beschreiben Sie in ihrem Buch?
Das Buch ist eine reine Biografie. Ich habe schon eine bewegte Lebensgeschichte, da gibt es genug zu erzählen.

Welche Botschaften wollen sie mit ihrem Buch weitergeben ?
Die erste Botschaft ist: Das Leben ist trotzdem schön. Ich sehe das Leben als etwas Geschenktes. Wenn ich die Augen aufmache, sehe ich die Schönheit – noch, muss man in diesen Zeiten sagen. Eine weitere Botschaft ist, dass ich auf die Selektion bei Kindern hinweisen will. Ich bin froh, dass es zu meiner Zeit noch keine Pränataldiagnostik gab. Meine Mutter hätte mich bestimmt abgetrieben, was sehr schade gewesen wäre.

Der Titel des Buches „Weglaufen? Geht nicht!“ spielt auf humorvolle Art auf ihre Situation an. Ist Humor ein geeignetes Mittel um damit umzugehen?
Es ist beabsichtigt, damit die Leute zum schmunzeln zu bringen. Ich kann im wahrsten Sinne des Wortes nicht weglaufen, auch wenn ich es hin und wieder vielleicht gerne möchte. Aber ja ich gehe locker damit um, das Leben ist schon Ernst genug. Humor ist ein guter Eis-Brecher.

Spüren Sie noch Wut auf ihre Eltern?
Ich bin weder meinem Vater noch meiner Mutter böse. Mein Vater ist mittlerweile verstorben und ich habe im Traum mit ihm Frieden geschlossen. Meine Mutter lebt noch, aber ich habe keinen Kontakt mehr zu ihr. Damit zu hadern, würde nur mein Leben schlechter machen.

Und auf das Pharmaunternehmen Grünenthal, das das Medikament „Contergan“ hergestellt hat?

Auch denen gegenüber verspüre ich keine Wut. Ich habe mein Leben gelebt und etwas erreicht. Vielleicht war es sogar gut, da nach der Aufdeckung des Skandals Medikamente viel strenger kontrolliert wurden. Auch die orthopädischen Hilfsmittel für Behinderte sind deutlich besser geworden. Es hat also die Fantasie der Helfenden angeregt. Ich denke mein Leben hatte also durchaus seinen Sinn.

Die Fragen stellte Sebastian Gall

Stefanie Ritzmann liest aus ihrem Buch „Weglaufen? Geht nicht!“ am Freitag. 27. September um 19 Uhr im Sozialkaufhaus in der Kreuznacher Straße 53. Der Eintritt zur Lesung ist kostenlos.