Guido Lorenz vor der Betriebsseelsorge in der Wiesbadener Straße. Foto: ede - ede

37 Jahre lang arbeitete Guido Lorenz als Betriebsseelsorger – und darüber hinaus. Er setzte sich vehement für soziale Gerechtigkeit ein und hat in all den Jahren sehr viel bewegt und auf die Beine gestellt.

Bad CannstattÜber Guido Lorenz ist schon viel geschrieben worden. Der Betriebsseelsorger wurde als Cannstatter Wallraff, als guter Geist von Cannstatt, als Arbeiterfaust Gottes oder als Theologe im Dienst sozialer Gerechtigkeit bezeichnet. Lorenz geht dahin, wo es auch wehtut. Dabei will er nur Gutes: Menschen eine positive Lebensperspektive vermitteln. „Das ist mir in den Gesprächen fast immer gelungen.“ 37 Jahre lang setzte er sich für Menschen ein, die benachteiligt wurden, verschuldet, ohne Arbeit, in finanziellen Nöten, vom Jobverlust bedroht, Mobbingopfer oder ausgegrenzt sind. Ging es um betriebliche und tarifliche Auseinandersetzungen, tauchte Guido Lorenz auf. Er organisierte Arbeitskämpfe und Demonstrationen, jobbte als Leiharbeiter, unterbezahlte Aushilfe, als Busfahrer, Wertstoffsammler, Reinigungskraft, Pflegekraft und und und. 20 Arbeitseinsätze kamen so zusammen. Seine Erlebnisse finden sich in Büchern, Ausstellungen, auf CDs und in der „Antenne“. Mit der 150. Ausgabe verabschiedet er sich. Nach 37 Jahren als Leiter der katholischen Betriebsseelsorge in der Wiesbadener Straße geht Guido Lorenz Ende Januar in den Ruhestand – und hat schon neue Aufgaben.

Geplant war das alles so nicht. 1983, Lorenz hatte gerade die Leitung der Betriebsseelsorge übernommen, sollte die Trafo Union in Bad Cannstatt geschlossen werden. 1000 Mitarbeitern drohte der Jobverlust oder der Umzug nach Kirchheim/Teck oder Nürnberg. Lorenz stieg in den Arbeitskampf ein, war bei der Gründung einer Bürgerinitiative dabei – sieben weitere sollten im Laufe der Jahre folgen, in Feuerbach, Wangen, Zuffenhausen, auf den Fildern. Der „Cannstatter Arbeitskreis für Arbeitsplätze“ hatte 25 Jahre Bestand und viel erreicht. „Beim Kampf um die Trafo Union habe ich meine Rolle gefunden“, blickt Lorenz zurück. Es ging nicht nur um traditionelle Betriebsseelsorge. Es gab viele symbolische Protestaktionen, ein Baum der Solidarität wurde gepflanzt, ein Theaterstück auf der Straße aufgeführt, mit 100 000 Mails ein Server lahmgelegt.

„Heute sieht die Welt anders aus.“ Die Firmen an der Pragstraße wie Fortuna, SKF, Foxboro Eckardt, Filter Knecht oder Wizemann sind verschwunden. Ab den 2000er Jahren lief viel über Projektarbeit. Es ging um Themen wie Hartz IV, Arbeitslosengeld II, ungeschützte Arbeit. Lorenz baute mit ehrenamtlichen Fachkräften ein Beratungsnetzwerk auf. In der Betriebsseelsorge gibt es Schulden- und Sozialberatung, Bewerbungstraining, Rechtsauskünfte, Berufsorientierung, Mobbingberatung, Coaching, Ämterbegleitung und den Mittwochstreff. „Ich bin schon stolz, ein gutes Netzwerk aufgebaut und Menschen dafür gewonnen zu haben, die Experten in den jeweiligen Bereichen sind.“

Aus seinen Gesprächen und Interviews entwickelten sich unterschiedliche Projekte. Immer ging es um ein positives Bild oder eine positive Idee. „Man muss die Menschen im Leben abholen.“ Auch der Ort spielt eine Rolle. „In einer Großstadt muss etwas inszeniert werden, um wahrgenommen zu werden“, beschreibt der 65-jährige Diplom-Theologe.

2005 trug er Gedichte zusammen, die Mut machen. Das Ergebnis: „Trotz alledem ... Die Alternative: Eine Reise ins Glück“. 2008 war Solidarität Thema. „Ich fragte, was den Menschen Spaß macht“ , 2010 ging der Blick nach vorn, was im Buch „Wir haben den längeren Atem – Mut und Ausdauer in der Krise“ Niederschlag fand. Um Geflüchtete und Arbeitslose zusammenzubringen – beide kämpfen um Anerkennung – sollten sie fotografieren, was ihnen Freude macht. Unterschiedlichste Motive kamen zusammen. 2015 wurden die Bilder zusammengefügt und die Fotos als Pixel einer digitalen Christus-Ikone unterlegt. Ein Druck davon ging an Papst Franziskus, der mit seiner Erklärung „Evangelii gaudium“ Auslöser der Aktion war. Beide Gruppen fanden zusammen, aßen und feierten gemeinsam.

Lorenz blickt zufrieden auf das Geleistete zurück. „In meinem Beruf hatte ich einen hohen Gestaltungsrahmen. Ich hätte mir nichts anderes wünschen können.“ Derzeit arbeitet er noch seinen Nachfolger Michael Görg ein. „Heute gibt es ganz andere Anforderungen, sind andere Fähigkeiten gefragt.“ Da müsse anders gearbeitet werden. „Er wird seinen eigenen Weg gehen, Ideen entwickeln, um Betriebsseelsorge in Stuttgart zu machen.“

Und Lorenz selbst? Er hat bereits eine Aufgabe übernommen. Er koordiniert künftig das Projekt Gloria bei der Wirtschaftsförderung. In Nigeria soll Wissenstransfer in die Köpfe gebracht werden. Im Ruhestand will er erst einmal einen anderen Lebensrhythmus finden. „Ich werde Zeit haben, mir alles anzuschauen.“ Und sich mehr um seinen Enkel kümmern. Im April geht es mit seiner Frau für vier Wochen nach Namibia. Wer Guido Lorenz kennt, weiß, dass dort nicht nur Urlaub auf dem Programm steht.