Quelle: Unbekannt

Cannstatter erstellt Bildband

Bad CannstattIch komme kaum voran. Nicht wegen der schlechten Pfade in schwierigem Gelände, sondern wegen der vielen Foto-Stopps. Manchmal verschwimmen die Bilder in den Tränen meiner Augen – es ist kaum zu fassen, wie schön es hier ist. Ob ich mein Ziel, die Sahara, jemals erreichen werde? Ich frage mich, ob es in Marokko überhaupt Wüste und Kamele gibt.“

Eigentlich nur weg und einmal quer durch Afrika – so lautete der ursprüngliche Plan von Steffen Burger im Jahr 2012, als er auf sein Motorrad stieg und in Richtung des spanischen Hafens Algeciras aufbrach. „Es war eine Flucht nach vorne“, so der selbstständige Fotograf. Zuvor sei eine langjährige Beziehung in die Brüche gegangen, auch die Arbeit mit der Kamera habe ihn nicht mehr so richtig erfüllt. Als er auf der Fähre in Richtung Marokko saß, ahnte der Cannstatter noch nicht, dass seine Reise nach knapp drei Monaten und Tausenden von Kilometern später auch in dem Mahgreb-Staat enden würde.

„Marokko hat eine magische Anziehungskraft. Das Land und vor allem die Leute haben mich dermaßen gefesselt, dass ich gar nicht anders konnte, als ihnen ein Buch zu widmen und anderen Menschen von meinen Erlebnissen zu erzählen“, sagt der 45-Jährige, der mittlerweile achtmal in die „Wunderwelt zwischen Wüste und Prunk“ gereist ist.

Obwohl Burger sowohl in die entlegensten Winkel als auch in die belebtesten Städte reiste, ist sein 400-seitiges Werk kein Reiseführer oder eine Dokumentation der beliebtesten Touristenziele. „Es geht auch weit über einen normalen Bildband hinaus, abseits vom Mainstream.“ Das Buch sei eine persönliche Liebeserklärung auf der Suche nach der Seele Marokkos. „Es folgt einer elementaren Tradition dieses Königreichs, in dem Wissen und Werte bis heute über Geschichten weitergegeben werden.“ Die tiefen Einblicke in das Land und der enge Kontakt zu den Menschen seien nur möglich gewesen, weil er allein unterwegs war. „Wenn ich abends mit dem Motorrad in ein kleines Dorf kam, ist es einfach was anderes, wie wenn man mit der Familie im Camper vorfährt. Sobald die Leute merken, dass man sie nicht ausnutzen will oder sie nicht von oben herab betrachtet, ist alles möglich. Dann kriegt man einen anderen Zugang zu ihnen. Einen Zugang, zu einer Welt, die viele von uns nicht kennen, zu einem Volk, das uns Europäern fremd ist.“ Egal, ob bei Marihuana-Bauern im Rif-Gebirge, in den Wohnhöhlen von Bhalil im mittleren Atlas oder bei einer Familie in der 70 000 Einwohner zählenden Provinzhauptstadt Sefrou – die marokkanische Gastfreundschaft zieht sich wie ein roter Faden durch Steffen Burgers Buch.

„Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, wie Menschen, die Luxus und Komfort nicht kennen, mit Fremden wie mir umgehen.“ Schwer zu kauen habe er beispielsweise daran gehabt, von armen Nomaden beim Abendessen im Zelt den Löwenanteil des Fleisches zugeschoben zu bekommen. „Der Kostbarkeit dieses Federviehs vollkommen bewusst, bemühe ich mich, nicht den kleinsten Fetzen dran zulassen.“ Als er jedoch seiner Meinung nach mit dem Schlegel fertig war und ihn beiseitelegte, stürzten sich die Kinder auf die Knochen. „Hätte es in dem steinigen Boden ein Loch gegeben, wäre ich beschämt hineingekrochen.“

Fünf Jahre voller Hingabe hat Steffen Burger an seinem Buch gearbeitet und hätte wohl noch etliche Kapitel hinzufügen können. „Obwohl es mir schwergefallen ist, war es Zeit, einen Strich drunter zu ziehen und das Ding abzuschließen.“ Er sei sich bewusst, dass die Liebe zu einem Land und dessen Bewohnern den klaren Blick für die Realität erschweren kann. „Verloren habe ich ihn jedoch keineswegs.“ Das Buch sei keine reine Lobhudelei. „Die Geschichten, die ich erzähle, sind nicht nur positiv.“

Das primäre Ziel, die Sahara und Kamele zu sehen, hat Steffen Burger auf seinem ersten Marokko-Trip schon erreicht. Die Reise hat ihn jedoch viel weitergebracht, als nur bis zum heißen Wüstensand. Er hat zum einen die Lust am Fotografieren wiedererlangt. „Es war mir aber ein tiefes Bedürfnis, die Menschen auch kennenzulernen, die ich porträtiere. Und nicht nur irgendeinen Berber in bunter Robe im Bild festzuhalten.“ Zum anderen habe er sich als Mensch verändert. „Auch wenn ich viele Errungenschaften der modernen Welt nicht missen möchte, wurde mir durch die Reisen erst bewusst, wie leer und sinnlos solche Dinge oft sind.“ Doch damit nicht genug: „Die Menschen dort schenkten mir wunderbare Einsichten. Sie heilten tiefe Wunden in mir und machten es mir möglich, eine Familie zu gründen.“

Sein zweieinhalbjähriger Sohn und seine Frau Cornelia hätten zwar gerade Priorität. Dennoch habe er sich festvorgenommen, in absehbarer Zeit wieder auf das Motorrad zu steigen und in Richtung Marokko aufzubrechen. „Ich möchte möglichst viele Protagonisten des Buches aufsuchen, ihnen danken und ihnen ein Exemplar schenken.“ Bei dem einen oder anderen könnte diese Aufgabe zum nächsten Abenteuer führen.

Erhältlich ist der Bildband vorerst nur über das Internet unter www.startnext.com/marokko-bildband. Ende Juli ist es auch im Buchhandel erhältlich.

Ein ganz besonderes Vorwort

„Vielleicht verstehe ich unter Reichtum etwas völlig anderes. Immer wenn ich in den Ländern der sogenannten Dritten Welt war – in den armen Ländern, in denen der Geiz noch nicht geil ist – habe ich manchmal wirklichen Reichtum erlebt. Arme Menschen, die so reich waren an Lebendigkeit und Gastfreundschaft und Herzlichkeit“, sagt Konstantin Wecker und liegt damit voll auf einer Wellenlänge mit Steffen Burger. Als der Musiker erfuhr, dass er ihn mit seinen Liedern durch Marokko begleitet hatte, erklärte er sich sofort bereit, ein Vorwort zu schreiben. Wecker ist voll des Lobes für den Bildband. „Er ist weit mehr als nur ein Appetithäppchen für künftige Marokko-Reisende. Er ist eine Brücke über das trübe Wasser des Unverständnisses, in dem derzeit so viel menschliches Leben ertrinkt.“ Burger rufe nicht zur gnädigen Hilfe für die „armen Menschen dort drüben“ auf, vielmehr „hilft er uns oft so verschlossenen Menschen des Nordens, uns aufzumachen. Zermürbt von zu viel ‚Eigenem’ gesunden wir vielleicht nur durch die Begegnung mit dem vermeintlich Fremden.“