Schüler spielen ein Szenario im Amtsgericht Bad Cannstatt nach: Der Richter spricht sein Urteil über den Angeklagten, der wegen Ladendiebstahl und Körperverletzung vor Gericht steht. Foto: Gökalp Quelle: Unbekannt

(erg) - Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich auf die Gnade Gottes angewiesen. Doch stimmt diese Volksweisheit? Bei einem gespielten Prozess im Amtsgericht Bad Cannstatt haben das Schüler herausfinden können. Als Teil des Ferienprogramms vom Förderverein „Kinderfreundliches Stuttgart“ erhielten 21 Jugendliche eine Führung durch das Gebäude und erhielten dabei Einblick in die verschiedenen Abteilungen.

Die Schüler betreten die kalte Zelle im Untergeschoss des Amtsgerichts Bad Cannstatt. Die Wände sind gekachelt und im Raum befindet sich eine Trennwand, hinter der sich eine Edelstahl-Toilette befindet. Am Boden ist ein Tisch mit zwei Stühlen befestigt. Viele Insassen haben sich auf der Holzplatte mit Kritzeleien verewigt, als sie auf ihren Prozess warteten. Bei der Führung melden sich einige Schüler freiwillig, um kurz in der Zelle eingesperrt zu werden. „Ich bin froh, dass ich hier nicht bleiben muss“, sagt der 14-jährige Thomas anschließend. Einige wenige Gefangene hätten es sogar geschafft zu fliehen. „Weiter als bis Fellbach hat es jedoch niemand geschafft“, berichtet Rechtspfleger Dirk Übbing.

Die Schüler besuchen nicht nur die vier Verwahrungszellen, sie erhalten auch einen Einblick in die Gerichtsräume und die Abteilung des Wachtpersonals. Schnell wird deutlich, dass hinter jedem Gerichtsverfahren ein großer bürokratischer Aufwand steckt. Angefangen bei der Verwaltung und der Post, über die Schulung des Wachtpersonals bis hin zu den eigentlichen Straf- und Zivilverfahren im Saal. Im Strafsitzungssaal erzählt Richterin Melanie Dawidowsky über ihren Alltag: „Einige Personen sieht man immer wieder vor Gericht und kennt sie irgendwann sehr gut.“ Scheinbar kleine Delikte - etwa drei Mal innerhalb kurzer Zeit beim Schwarzfahren erwischt zu werden - sind meist genug, um der Juristin wieder zu begegnen.

Als Höhepunkt der Führung dürfen die Kinder selbst ein Gerichtsverfahren nachspielen. Das Szenario: Ein Ladendieb stiehlt eine CD und greift anschließend einen Ladendetektiv an. Nachdem Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Positionen vorstellen, entsteht eine hitzige Diskussion. Wurde der vermeintliche Ladendieb womöglich falsch beschuldigt und vom Detektiv angegriffen? Das Schöffengericht verurteilt den Angeklagten schließlich zu Sozialstunden. Damit ist auch das Ziel erreicht, dass die Schüler lernen, wie das deutsche Justizsystem funktioniert.

Falls die Jugendlichen tatsächlich einmal als Zeuge einer Straftat oder als Geschädigte vor Gericht müssen, wurde ihnen auch gleich eine Anlaufstelle mitgeteilt. Die Zeugen- und Prozessbegleitung von „Prävent Sozial“ betreut Personen nämlich bis zur Gerichtsverhandlung. Sie organisiert auch die regelmäßigen Führungen durch Gerichtsgebäude.