Jeden Morgen stellt Burak Gül die E-Scooter vor 8 Uhr auf. Foto: Janey Schumacher - Janey Schumacher

Seit Mitte August sind sie aus dem Stadtbezirk nicht mehr wegzudenken: die E-Scooter. Aufgeladen werden die Roller von sogenannten Juicern. Einer von ihnen ist Burak Gül.

Bad Cannstatt Seit Mitte August sind sie aus dem Stadtbezirk nicht mehr wegzudenken: die E-Scooter. An den elektrisch angetriebenen Tretrollern scheiden sich die Geister. Die einen ärgern sich über E-Scooter, die mitten auf dem Gehweg oder Radweg abgestellt wurden, andere sind begeisterte Nutzer. Vor allem auf kurzen Strecken, wie zur Bahn, zur Uni oder ins Büro kommen sie zum Einsatz. Wege, für die sich das Auto nicht lohnt, die viele aber nicht zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen wollen. Wer sich keinen eigenen kaufen will, der Preis für die Geräte liegt zwischen 300 Euro und 2000 Euro, kann sich gegen Gebühr einen ausleihen.

Dafür, dass täglich aufgeladene E-Scooter bereit stehen, sorgt Burak Gül. Der 24-Jährige ist einer der ersten sogenannten Juicer in Stuttgart. So bezeichnet der US-amerikanische Anbieter Lime Personen, die Elektrotretroller einsammeln und über Nacht aufladen. Um das zu tun, ist Gül ab 21 Uhr mit seinem Transporter in Stuttgart unterwegs. Etwa vier bis fünf Stunden benötigt er dafür. Seine Tour beginnt in dieser Nacht in Bad Cannstatt. Viele E-Scooter sind es nicht, die derzeit im Stadtbezirk stehen. Denn aus Sicherheitsgründen wurde von der Verleihfirma während des Volksfests eine Verbotszone rund um den Cannstatter Wasen eingerichtet. Per GPS-Steuerung wird verhindert, dass die E-Scooter in diesem Bereich abgestellt werden können. Öffnet man die App, die den Nutzern die verfügbaren E-Scooter im Stadtgebiet anzeigt, ist dieser Bereich rot markiert.

Zügig geht es deshalb weiter in Richtung Stuttgart-Ost. Wo sich die E-Scooter befinden, wird Gül ebenfalls in einer App angezeigt. Der Standort eines Tretrollers blinkt auf einer Karte. Er hält an, steigt aus und hält sein Smartphone an ein Display, das in der Mitte des Lenkers angebracht ist, um den Roller zu scannen. Auf diese Weise wird registriert, dass er den Scooter eingesammelt hat. So geht es Stück für Stück durch das Stadtgebiet bis die Ladefläche seines Transporters voll ist. Allerdings stehen die Roller nicht immer sichtbar auf dem Gehweg. „Einen musste ich schon aus dem Gebüsch ziehen.“ Angesichts der Dunkelheit eigentlich kein leichtes Unterfangen. Aber die E-Scooter verfügen über ein spezielles Alarmsignal – sie hupen und blinken – das per Smartphone aktiviert werden kann.

Aufgeladen werden die E-Scooter in einem Lagerraum in Waiblingen, den Gül speziell für diesen Zweck angemietet hat. 60 bis 80 Stück schafft er durchschnittlich in einer Nacht. Er schätzt, dass in ganz Stuttgart zwischen 200 und 300 des Anbieters Lime im Umlauf sind. Etwa vier Euro bekommt er pro aufgeladenem E-Scooter. Abzüglich der laufenden Kosten für Transporter, Sprit, Strom und Miete für das Lager bleiben etwas mehr als drei Euro pro Stück, sagt er.

Das Aufladen der Scooter dauert bis zu fünf Stunden. Anschließend hievt Gül die Roller – das Gewicht beträgt fast 20 Kilogramm – wieder in seinen Transporter. Angesichts der Menge, die er jede Nacht zwei Mal ein- und auslädt, ein Kraftakt. „Sport muss ich in meiner Freizeit nicht mehr treiben“, sagt er lachend. Inzwischen ist es 5.30 Uhr und es geht ans Verteilen der Scooter. Etwa eine bis eineinhalb Stunden benötigt er, um die geladenen E-Scooter wieder aufzustellen. Das Gebiet erstreckt sich von Vaihingen über die Innenstadt bis nach Zuffenhausen. In Bad Cannstatt stehen sie zum Beispiel neben dem Parkhaus Mühlgrün oder in der Wilhelmstraße. Dabei spielt die Uhrzeit eine entscheidende Rolle: Die Scooter müssen vor 8 Uhr vollständig geladen an ihrem Platz stehen. Wird es später oder ist der Akku nur zu 90 Prozent geladen, muss eine Strafe von bis zu zwei Euro pro Stück bezahlt werden.

Angestellt ist Gül bei der Firma übrigens nicht, sondern mit eigenem Gewerbe selbstständig. Nach jeder Schicht erhält er, je nachdem wie viele Scooter er aufgeladen hat, eine Gutschrift. Für ihn rechne sich das Einsammeln und Aufladen, sagt der 24-Jährige. Bevor er mit den nächtlichen E-Scooter-Touren begonnen hat, stand Gül bei einem Autobauer am Band. Die Arbeit als Juicer passe besser zu ihm, sagt er. „Ich bin ohnehin ein Nachtmensch und mag die Flexibilität, die der Job mit sich bringt“. Wie oft er arbeitet, entscheidet er. Zur Zeit sind es sechs Mal in der Woche. Wichtig ist Gül vor allem, dass sich die Tour durch Stuttgart lohnt: Nur drei oder vier Tretroller auf dem Nachhauseweg mitzunehmen, um sie über Nacht in der Wohnung aufzuladen, käme für ihn nicht in Frage.

Aufmerksam geworden auf den ungewöhnlichen Job des Juicers, ist er über eine Anzeige in den Sozialen Medien. Außer in Stuttgart ist Gül in Frankfurt aktiv, hat dort ebenfalls ein Lager angemietet und zwei Mitarbeiter beschäftigt. Auch für Stuttgart gibt es weitere Pläne: Gül möchte zwei Mitarbeiter einstellen.