Sigfried Baumann Foto: Sebastian Steegmüller - Sebastian Steegmüller

Nach 47 Jahren geht der Geschäftsführer der Cannstatter Zeitung/Untertürkheimer Zeitung in Ruhestand.

Bad CannstattEs ist eine besondere Zäsur: Am 31. Dezember 2019 geht der Geschäftsführer der Cannstatter und Untertürkheimer Zeitung, Sigfried Baumann, in Ruhestand. 47 Jahre lang hat sich er das Zeitungsmachen auf die Fahnen geschrieben und die Gestalt sowie den Inhalt des Blattes entscheidend geprägt. Aber auch äußerst erfolgreiche Veranstaltungen wie beispielsweise die „Sommer-Schlagerparty“ und den „Adventszauber“ hat der umtriebige Macher initiiert sowie rund 200 Leserreisen organisiert und vor Ort als Reiseleiter umgesetzt. In dieser Zeit hat der 66-Jährige so einiges erlebt. Denn wer kann schon von sich sagen, vor laufenden Kameras ein Streitgespräch mit Hans-Joachim Kulenkampff geführt, Gratisständchen von Florian Silbereisen bekommen oder als Ghostwriter für Jürgen Klinsmann fungiert zu haben?

Herr Baumann, gehen wir ins Jahr 1972 zurück. Das ist das Jahr, in dem Sie als Volontär bei der Cannstatter/ Untertürkheimer Zeitung begonnen haben. Wissen Sie noch, über welches Thema Sie als erstes schreiben durften?

Ja, das weiß ich noch. Es ging um den neuen Sportplatz des TSV Schmiden.

Was haben Sie in Ihren Anfangsjahren gelernt, was haben Sie mitgenommen?

Das ist schwierig zu sagen. In diesen zwei Jahren hatte ich vier Redaktionsleiter. Es war ein komisches Gefühl. Alle sechs Monate gab es einen anderen. Irgendwann sagte Otto Wolfgang Bechtle, der damalige Verleger und mein väterlicher Freund, zu mir, er mache das nicht mehr mit und fragte an, ob ich Redaktionsleiter werden möchte. Die Frage war an eine Bedingung geknüpft: Ich müsse den Job fünf Jahre lang machen. Es sind ein paar Jahre mehr geworden (lacht).

Sie waren bei der Fußball-WM 1974 im Einsatz. Darum dürften Sie viele Kollegen beneidet haben ...

Es gab damals bei der Eßlinger Zeitung eine WM-Redaktion und ich war zur Verstärkung des Teams mit dabei. Wir belieferten damals auch den SID (Sport-Informations-Dienst, Anmerkung der Redaktion) mit Informationen über den WM-Standort Stuttgart. Selbst Wetterdaten wollten sie von uns haben und haben dafür jeden Morgen pünktlich angerufen. Das war sicherlich ein erster Höhepunkt meines Berufslebens.

Sie haben einst auch ein neues Konzept für den Lokalsport in der Cannstatter und Untertürkheimer Zeitung eingeführt. Was hatte Ihnen denn bis zu diesem Zeitpunkt daran nicht gefallen?

Ich fand den Lokalsport zu langweilig. Die Themensetzung sollte anders werden. Wir haben deshalb Serien wie „Die netten Sportmädchen der Neckarvororte“ oder „Ihnen hält kein Torwart stand – die Torjäger der unteren Fußballklassen“ auf den Weg gebracht. Es sollte mehr Personality-Geschichten geben. Denn, wie heißt es so schön: „Namen sind Nachrichten“.

Eine Serie, die ebenfalls mit Ihrem Namen verbunden ist, war in den 1980er-Jahren die Reihe: „Prominente für Sie am Telefon“. Das Konzept: Bekannte Persönlichkeiten aus Showbusiness, Politik, Sport und Kultur beantworten die Fragen von Lesern. Wie schwierig war es, ausreichend Prominente dafür zu begeistern?

Viel einfacher als heute. Heute würde ein bekannter Sportler wissen wollen: was bekomme ich für die Stunde? Damals haben wir die Prominenten gefragt, ob sie Lust hätten, eine Stunde in die Redaktion zu kommen. Und es gab keinen, der dieses Ansinnen abgelehnt hat oder je ein Honorar dafür haben wollte.

Die Liste der Gäste ist durchaus beeindruckend: Showmaster-Legende Hans Rosenthal war da, der verstorbene DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ....

... der damalige Ministerpräsident Lothar Späth, OB Manfred Rommel, Paola und Kurt Felix, Mike Krüger, ZDF-Wetterfrosch Elmar Gunsch und natürlich hatten wir viele bekannte VfB-Spieler wie Karl-Heinz Förster, Guido Müller, Hansi Müller sowie die Trainer Helmut Benthaus, Jürgen Sundermann oder Lothar Buchmann zu Gast.

Beim Thema Prominente darf eine Frage nicht fehlen: Was verbinden Sie mit dem Namen Hans-Joachim Kulenkampff?

Es war früher noch leichter, als junger Journalist mit den Großen des Showgeschäfts ins Gespräch zu kommen. Mit Kulenkampff hatten wir uns damals im Parkhotel beim SDR zum Frühstück verabredet. Es ging um die Frage, wer der beliebteste Showmaster Deutschlands sei und ich hatte eine Umfrage zur Hand, in der er nur auf Platz drei lag. Nach der Sendung „Einer wird gewinnen“ in der Schleyerhalle kam Kulenkampff auf mich zu und fragte, wie ich dazu kommen würde, zu behaupten, er wäre nur der Drittplatzierte. Er kenne viele Umfragen, in denen er auf Platz eins liege. Man muss wissen, Hans-Joachim Kulenkampff war sehr eitel. Daraus entwickelte sich ein Streitgespräch, das von einem Kollegen des WDR aufgezeichnet wurde. Später lief der Beitrag in allen dritten Programmen. Auch das war ein Highlight meiner Karriere.

Ein weiterer Name: Jürgen Klinsmann. Der einstige VfB-Stürmer und aktuelle Hertha-Trainer schrieb einst für die Zeitung eine Kolumne. Wie kam es dazu?

Nachdem Jürgen Klinsmann von den Kickers zum VfB gewechselt war, hatte er seinen ersten Einsatz gegen die „Mannschaft des Jahres“ der Cannstatter Zeitung. So kam man ins Gespräch. Zudem wohnten wir beide damals in Botnang. Während wir die Fasnetsküchle meiner Mutter aßen, frage ich ihn, ob er nicht Lust hätte, etwas zu schreiben. Jürgen antwortete, er mache das gern. Vor jedem Heimspiel trafen wir uns von da an im „Stadtgraben“ und er bewertete eine Saison lang den anstehenden Gegner und die Erfolgsaussichten des VfB Stuttgart. Dann kam allerdings der „Kicker“ und wollte ebenfalls eine Kolumne von Jürgen Klinsmann haben. Und im Gegensatz zu uns konnten sie ihm gutes Geld bezahlen.

Wie bewerten Sie denn rückblickend das journalistische Talent Klinsmanns?

Er lieferte mir ja nur die Stichworte, das Ausformulieren oblag mir. Heute würde man von einem „Ghostwriter“ sprechen.

Ist es denn korrekt zu sagen, dass Sie mit dem VfB Stuttgart eine Hassliebe verbindet?

Was heißt Hassliebe? Für das „Journal am Sonntag“ saß ich früher jedes zweite Wochenende im Stadion. Damals war die Mannschaft aber erfolgreicher, konstanter und hatte die sympathischeren Spieler.

Bleiben wir beim Fußball, genauer gesagt bei der „Mannschaft des Jahres“.

Die Idee war, dass uns die Vereins-Pressewarte nach jedem Spiel den ihrer Meinung nach besten Spieler der eigenen Mannschaft nennen sollten. Daraus bildeten wir die „Mannschaft des Tages“. Am Ende der Saison bildeten wir aus jenen Spielern mit den meisten Berufungen die „Mannschaft des Jahres“. Die ersten Spiele trugen wir im Robert-Schlienz-Stadion gegen den VfB aus. Highlight war aber das Spiel gegen die Uwe-Seeler-Traditionself, zu dem 3700 Zuschauer auf den Sportplatz in Münster kamen. Damals spielten Franz Beckenbauer, Günther Netzer, Klaus Fischer, Wolfgang Overath, die Förster-Brüder. Das war die Creme de la Creme des deutschen Fußballs.

Und wie ging das Spiel aus?

5:4 vier für die Cannstatter Zeitung. Beckenbauer ließ sich zur Halbzeit entnervt auswechseln, weil wir 4:1 führten.

Kommen wir zu Sigfried Baumann, dem Moderator und Organisator. Vor 30 Jahren veranstalteten Sie erstmals das Sommerfest, das später in Sommer-Schlagerparty umbenannt wurde.

Die erste Veranstaltung entstand anlässlich des 90-jährigen Jubiläums der Untertürkheimer Zeitung. Es war eine Zusammenarbeit mit Radio ES. Wir hatten dazu aufgerufen, dass sich Leute mit einem künstlerischen Talent bei uns melden sollten. Aus diesen Hobbykünstlern bestückten wir die erste Veranstaltung. Im Laufe der Jahre kamen immer mehr Profis hinzu, sodass wir Eintritt verlangen mussten, um die Kosten zu decken.

Helene Fischer, Florian Silbereisen, Andy Borg, Bernhard Brink, Anita und Alexandra Hofmann, Hansi Hinterseer, Patrick Lindner – die Liste der Künstler ist prominent bestückt. Gab es einen Musiker, den Sie gern noch zu Gast gehabt hätten?

Ich hätte zum Finale vielleicht noch gern den „König von Mallorca“, Jürgen Drews, begrüßt. Leider war das finanziell eine zu große Nummer.

Zu einigen Künstlern hat sich eine Freundschaft entwickelt. Anita und Alexandra Hofmann haben zur 30. Veranstaltung am 31. August 2019 ihren Urlaub unterbrochen, um beim Finale als Überraschungsgäste dabei zu sein. Auch Florian Silbereisen trat vor fünf Jahren ohne Gage auf. Sind das die Momente, an die Sie oft zurückdenken?

Manche Künstler kommen, treten auf und gehen. Zu anderen hat sich eine Freundschaft entwickelt. Mit den Hofmanns besteht regelmäßig Kontakt, bei Florian ist es schwieriger geworden, seit er als „Traumschiff“-Kapitän unterwegs ist.

Lassen Sie uns über Ihr „zweites Kind“, den „Adventszauber“, sprechen. Im Gegensatz zur Sommerschlager-Party geht es hier ruhiger und besinnlich zu. Was war der Anlass für die Veranstaltungsreihe?
Ich glaube, es war wieder ein Jubiläum, das wir im Wilhelma-Theater feierten. Die Veranstaltung mit Janet & Marc kam damals bei den Besuchern so gut an, dass wir überlegten, diese fest zu etablieren. Wir sind dann in die Schwabenlandhalle nach Fellbach und später in die Stadtkirche Bad Cannstatt umgezogen und hatten zeitweise mehr als 1100 Besucher.

Ihre Rolle als Organisator beschränkt sich nicht nur auf Veranstaltungen. Ein weiteres Betätigungsfeld sind die Leserreisen. Ihre zweite „Heimat“ ist Kroatien. Wann waren Sie das erste Mal dort?
1973, an den Plitvicer Seen. Ich wollte die Landschaften sehen, in denen die Karl-May-Filme gedreht worden waren. Fälschlicherweise hatte ich lange angenommen, die Streifen seien in den USA entstanden. Es war einfach faszinierend. Daraus entwickelte ich eine Reise unter dem Motto „Auf Winnetous Spuren“ die auf großes Interesse stieß . Diese Reisen, einmalig in ihrer Art, waren jahrelang ein Renner.

Haben Sie mal überschlagen, wie viele Leserreisen Sie organisiert und umgesetzt haben?
Mehr als 200 müssten es schon gewesen sein. Es war übrigens auch die Idee des verstorbenen Senior-Verlegers gewesen, mich 1975 erstmals als Begleitung auf eine Kreuzfahrt zu schicken. Daraus entwickelte sich ein eigenes, sehr erfolgreiches Geschäftsfeld.

Sie waren 47 Jahre lang bei der Cannstatter und Untertürkheimer Zeitung tätig, seit 1995 als Geschäftsführer. In dieser Zeit hat sich das Mediengeschäft rapide gewandelt. Tippte man einst seine Texte in die Schreibmaschine und brachte sie per Kurier zum Setzen nach Esslingen, hat heute die Digitalisierung Einzug gehalten. Sind Sie froh, die weiteren Umbrüche in der Branche nur noch aus der „Ferne“ zu verfolgen?
Ja. Aber das geht sicher vielen älteren Kollegen so.

Wie schwer fällt Ihnen der Abschied? Wobei man muss ja sagen, Sie bleiben unseren Lesern ja zumindest teilweise erhalten...
Momentan habe ich mich aufgrund der Weihnachts- und der Silvesterleserreise noch nicht intensiv mit dieser Frage beschäftigt. Was es weiterhin mit Sigfried Baumann geben wird, sind unsere exklusiven Leserreisen, den „Adventszauber“ oder die Hofbräu-Fahrten und ich werde weiter die wöchentlichen Kolumnen in der CZ/UZ schreiben.

Was war Ihnen in den vergangenen 47 Jahren ein besonderes Anliegen?
Alles, was wir auf die Beine gestellt haben, folgte dem Ziel, eine intakte Leser-Blatt-Bindung zu schaffen. Als kleiner Rotenberg Verlag konnten wir ja nie großflächig in die Außenwerbung einsteigen. Also war meine Philosophie, Angebote zu schaffen, die die Leser mit unserer Zeitung unmittelbar in Verbindung bringen. Mit den Hofbräu-Fahrten beispielsweise haben wir 350 000 Euro für gemeinnützige Einrichtungen zusammengetragen. Das war für mich Motivation und Antrieb zugleich.

Das Gespräch führten Andrea Eisenmann
und Uli Nagel.