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Rene Struensee kennt sich mit täglich neuen Herausforderungen aus – das bringt sein Job als Restaurator im Stadtarchiv in Bad Cannstatt mit sich. Risse, fehlende Seite oder Schimmel – kein Dokument ist wie das andere.

Bad Cannstatt

Das Gute an Rene Struensees „Patienten“? Sie zucken nicht, wenn er ihnen beispielsweise mit einer langen Nadel samt Faden zu Leibe rückt. Und doch muss er mit ihnen oft sorgsamer und behutsamer umgehen als mancher Hausarzt mit einem Kranken. Denn der gelernte Handwerksbuchbinder arbeitet als Restaurator im Stadtarchiv im Bellingweg. Und das seit 16 Jahren. Es ist ein Job, der viele Facetten aufweist. Kein Dokument, keine Karte, kein Buch ist wie das andere. Jedes von ihnen hat seine eigene „Krankenakte“. Seite für Seite wird genau inspiziert, Schadstellen müssen millimetergenau ausgebessert, repariert und konserviert werden. Auch die Vielfalt an Papiersorten ist groß – ebenso wie deren Qualität. Wenn nötig, wird ein Buch auch einmal komplett auseinandergenommen und später wieder zusammengesetzt. Nur so können die schriftlichen Zeitzeugen – darunter beispielsweise Flugblattsammlungen oder Kriegsschadenspläne – für die Nachwelt erhalten bleiben. Vielleicht nicht für immer. Zumindest aber für viele weitere Jahre und Jahrzehnte.

Allerdings gibt es viele „Feinde“, gegen die Struensee ankämpft. Schimmel zum Beispiel. „Dieser entsteht durch Feuchtigkeit und Wärme“, erklärt der 42-Jährige. Beim sogenannten inaktiven Schimmel werden die Sporen mit einem Alkohol-Wassergemisch ausgewischt. „Dieser tötet den Schimmel zu 99 Prozent ab. Danach folgen die notwendigen Schritte, um das Papier zu restaurieren.“ Bei „aktivem“ Schimmel hingegen ist eine Behandlung in den ersten 48 Stunden notwendig, um größere Schäden an den Objekten zu vermeiden .

Aber auch Risse im Papier, Knickfalten, Licht- und Wasserschäden, poröse Einbände oder spröde gewordener Leim geben dem Experten Arbeit auf. Diese hat allerdings nicht zum Ziel, dass die Dokumente wie neu aussehen, sondern dass sie „benutzbar“ bleiben und zumindest in Teilen an Besucher im Stadtarchiv herausgegeben werden können. Unter Aufsicht versteht sich. Denn mitunter können die Benutzer mehr Schaden anrichten als beispielsweise eine unsachgemäße Lagerung. Und auch der Anblick von altem Tesa-Film auf Dokumenten lässt den Puls des Fachmanns höher schlagen – nicht vor Freude.

Es gibt eine Vielzahl an Techniken, deren sich der Restaurator des Stadtarchivs bedient. Bei der sogenannten „Anfaserung“ kommen neue Fasern in Form eines „Papierbreis“ zu den alten Seiten dazu. So können Löcher im Papier beseitigt oder Risse geschlossen werden. Struensee benutzt dafür sogenanntes „Japan-Papier“, das er in verschiedenen Stärken und Farben in der Werkstatt vorrätig hat, sowie Methylzellulosekleber. „Das entspricht etwa unserem Tapetenkleister.“

Beim „Papierspalten“ hingegen wird ein Blatt von beiden Seiten mit einem Trägermaterial und flüssigem Gelatineklebstoff beschichtet. Nach einiger Zeit können die Träger auseinandergezogen werden. Mit dem Resultat, dass an jedem Teil die Hälfte des Originalblatts kleben bleibt. Die Folge: Das Papier wird aufgespalten. In die neue „Mitte“ wird nun ein transparentes, festes Papier eingeklebt, anschließend das „Sandwich“ zusammengeklappt und die Träger wieder abgelöst. Übrig bleibt ein „von innen“ gefestigtes Dokument, dem man die Behandlung zumindest auf den ersten Blick nicht ansieht. Struensee öffnet eine Schublade seines Arbeitstisches und holt eine Fünf-Euro-Banknote heraus, die nach genau diesem Verfahren „aufgespalten“ wurde. „Ein Kollege von mir hat sie präpariert“, sagt er und schiebt mit einem breiten Grinsen hinterher. „Schreiben Sie bitte noch dazu, dass man das Spalten von Geldscheinen zuhause nicht ausprobieren sollte.“

Die Arbeit von Restauratoren hat sich vor allem im vergangenen Jahrzehnt deutlich gewandelt. Dazu haben tragische Ereignisse wie der Großbrand in der Herzogin Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar und der Einsturz des Kölner Stadtarchivs beigetragen. Letzteres Unglück ereignete sich v or zehn Jahren. 30 Regalkilometer an wertvollen Dokumenten wurden in den Trümmern begraben, zwei Menschen starben. In den folgenden Wochen halfen zahlreiche Restauratoren aus dem ganzen Bundesgebiet am Unglücksort mit, zerfetzte „Schnipsel“ aus dem Erdschlamm zutage zu fördern. Einer von ihnen: Rene Struensee. „Nach dem Unglück in Köln hat ein Umdenken eingesetzt. Man kam zu dem Ergebnis: Je besser die Dokumente und Schriftstücke eingepackt sind, desto weniger kann ihnen passieren.“ Und so wird nun auch im Stadtarchiv im Bellingweg 21 mehr denn je auf die bestmögliche „Verpackung“ der historischen Schätze geachtet.