Quelle: Unbekannt

Von Hans Betsch

Sommer, Sonne, Badelust, wer träumt da nicht vom fernen Meer? Doch wozu in die Ferne schweifen, wo das Gute liegt so nah? Bad Cannstatt war vor rund 150 Jahren sozusagen das „Ibiza Württembergs“. Hier gaben sich die Reichen und Prominenten der damaligen Zeit quasi die Klinke des Hotels Hermann in die Hand. Wie es dazu kam und „Wie aus Cannstatt Bad Cannstatt wurde. Die Badekultur der Sauerwasserstadt im 19. und 20. Jahrhundert“ zeigt in den kommenden zwei Wochen eine Ausstellung beim Evangelischen Verein in der ehemaligen Stadtmühle Überkinger Straße 19. Sie wurde vom Evangelischen Verein in Kooperation mit Pro Alt-Cannstatt aufgebaut und wird heute im Rahmen des Kulturmenüs um 11 Uhr eröffnet.

Der Besucher kann sich in zahlreichen thematischen Installationen über die große Badestadtzeit Cannstatts im 19. Jahrhundert und die Badekultur im Bad Cannstatt des 20. Jahrhunderts informieren. Beim Betrachten der Kleidungsstücke, Gebrauchsgegenstände, Bilder und Dokumente aus zwei Jahrhunderten wird klar, warum es König Wilhelm I. von Württemberg so sehr nach Cannstatt zog. Er war bereit ein Vermögen dafür auszugeben und mitzuhelfen, Cannstatt zu einem gefälligen Kur- und Badeort auszubauen.

Nach der Wiederentdeckung der Heilkraft des reichen Mineralwasservorkommens in Cannstatt, das schon die Römer genossen, kamen ab Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr „Wellnesshungrige“ nach Cannstatt. Zunächst waren es nur die Stuttgarter, die mit ihren Fuhrwerken über die Wilhelmsbrücke (die König-Karls-Brücke gab es ja noch nicht) durch die Brunnenstraße zum Kursaal fuhren. Doch bald wurde das Publikum international und ein Hotel musste her. Der altehrwürdige „Ochsen“ an der Brückenstraße war der erste, der die Gunst der Stunde erkannte und Badestuben einrichtete. 1818 erbaute dann Dr. Frösner ein luxuriöses Hotel, das spätere Hotel Hermann auf dem Gelände des heutigen Rot-Kreuz-Krankenhauses, in dem russische Großfürsten, aber auch der Dichter Balzac oft wochenlang Quartier bezogen. Weitere Hotels, der Kurpark und der Kursaal wurden gebaut. Mit den Hotels kamen auch hervorragende Ärzte nach Cannstatt. Albert Veiel gründete die erste Hautklinik Deutschlands am Wilhelmsplatz (heute Kaufhof), Dr. Jakob Heine und Dr. Heinrich Ebner errichteten orthopädische Anstalten. Cannstatt war nun eine renommierte Badestadt, die wuchs und gedieh.

Mit der Eröffnung des Eisenbahnbetriebs 1845 und dem weiteren zügigen Ausbau konnten immer mehr Kurgäste Cannstatt bequem erreichen. Allerdings kam dadurch auch die Industrialisierung in Cannstatt an. Nacheinander siedelten sich zahlreiche Firmen an, schufen viele Arbeitsplätze, und eine rege Bautätigkeit setzte ein. Die Belästigungen durch zahlreiche Baustellen, ratternde Dampfmaschinen und rauchende Fabrikschlote führten aber auch zum Ende des regen internationalen Badelebens. Doch gebadet wurde auch nach der Industrialisierung im 20. Jahrhundert in Cannstatt. Teil der Ausstellung sind daher auch die Bademode, wie sie etwa die Firma Lindauer produzierte, der Cannstatter Schwimmverein, das Ende des Badens im Neckar, die Zeit, als 1933 Cannstatt dann die Auszeichnung „Bad“ bekam, ebenso wie die Anwendungen im alten Mineralbad Cannstatt um 1960.

Dieser kurze Überblick über 150 Jahre Bad Cannstatt wird während der Ausstellung in der ehemaligen Stadtmühle in verschiedenen Vorträgen und Führungen ausführlich behandelt. Doch die Besucher dürfen sich auf zahlreiche Exponate freuen, die ein eindrucksvolles Bild von der damaligen Zeit geben. Dazu beigetragen haben auch viele Privatpersonen, die ihre Erinnerungsstücke, beispielsweise Badanzüge, zur Verfügung gestellt haben. Denn das Thema Bademode darf bei diesem Thema natürlich nicht fehlen. Und wer sich noch an Gerd Fröbe in dem Film „Die tollkühnen Männer in ihren fliegenden Kisten“ erinnert, der hat einen ersten Eindruck, was ihn in den kommenden zwei Wochen in der einstigen Stadtmühle erwartet.

Information

Das reichhaltige Begleitprogramm der Ausstellung während des Eröffnungstages und darüber hinaus (unter Mitwirkung auch von Stefan Betsch) liegt an mehreren Stellen in der Stadt aus (im Foyer des Evangelischen Vereins in der Brunnenstraße, im Rathaus, im Stadtmuseum und in der Stadtteilbücherei). Das Begleitprogramm finden Sie auch unter www.proaltcannstatt.de oder unter www.evangelischer-verein.de. Die Ausstellung ist jeden Mittwoch, Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet und geht bis Sonntag, 23. Juli. Der Eintritt und das Begleitprogramm sind kostenfrei und besonders auch für Schulklassen geeignet.