Bisexuelle Menschen fühlen sich emotional und sexuell gleichwohl zu Männern und Frauen hingezogen. Es sei eine schöne „andere Erfahrung“, berichtet Beatrice. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Edgar Rehberger

„Biste bi biste free“ heißt eine Redewendung, die in etwa bedeutet, dass der bisexuell orientierte Mensch mehr Wahlmöglichkeiten und dadurch mehr Freiheit hat. Ganz so einfach ist das Leben eines oder einer Bisexuellen aber nicht. Der heutige Tag der Bisexualität, der 1999 von Bürgerrechtlern in den USA ins Leben gerufen wurde, soll Vorurteile abbauen. Denn noch immer sehen sich offen Bisexuelle mit Vorurteilen und Ressentiments konfrontiert. Als Bisexualität - eigentlich „Ambisexualität“ - nach der lateinischen Vorsilbe bi- für „zwei“, bezeichnet man die sexuelle Orientierung oder Neigung, sich sowohl zu Frauen als auch zu Männern emotional oder sexuell hingezogen zu fühlen. Als Kurzform ist das Adjektiv bi gebräuchlich.

Laut Kinsey-Report aus dem Jahr 1948 sind mehr als die Hälfte der Menschen bisexuell. Demnach würde nur ein sehr kleiner Teil der Bisexuellen seine Neigung ausleben. Eine davon ist Beatrice, Anfang 60, aus Stuttgart. Sie arbeitet im künstlerischen Bereich und lebt in einer heterosexuellen Beziehung. „Mit 26 oder 27 wurde ich von einer Lesbe verführt“, erzählt sie. Sie lagen zusammen im Bett und „plötzlich hat sie einfach angefangen.“ Beatrice ließ sie gewähren und fand Gefallen daran. „Bis dahin hatte ich nur mit Männern geschlafen.“ Was war anders? „Die körperliche Annäherung ist mit einer Frau anders.“ Beim Sex mit einem Mann sei der Ablauf eher pragmatisch, direkter. „Gleichgeschlechtliche Liebe ist spannender. „Es gibt viele offene Elemente in der Intimität. Man weiß ja nicht, wie man miteinander umgehen kann.“ Es gehe viel zärtlicher und phantasiereicher zu, von der Gefühlslage höher. Für sie ist gleichgeschlechtliche Liebe daher auch interessanter. „Es ist eine schöne andere Erfahrung.“

Beatrice wägt nicht ab, überlegt um Vor- und Nachteile des Zusammenseins mit einem Mann oder einer Frau. „Ich mache das nicht bewusst. Es ergibt sich einfach.“ Eine große Hemmschwelle musste sie nicht überwinden. „Man ist ja offener und umgänglicher für Frauen.“ Beim Aufwachsen komme man den Freundinnen ja auch näher. „Es gibt Umarmungen und Küsse. Der Umgang ist anders als bei den Jungs, offener, tabufreier.“

Das bestätigt Rainer, Mitte 50. Er hat schon negative Erfahrungen gemacht. „Jungs tun sich viel schwerer, sich gegenseitig anzufassen.“ Das könne schon zu unschönen Szenen führen. „Da landet man gleich in der schwulen Ecke. Und das ist für viele immer noch bäh.“ Er betont, bisexuell und nicht schwul zu sein. „Ich liebe beide Geschlechter, mache keine Unterschiede.“ Er würde sich auch nicht festlegen wollen. „Wenn man im Zweifel immer ein Geschlecht bevorzugt, ist man meiner Meinung nach auch nicht bisexuell.“ Männer oder Frauen zu berühren, sei für ihn immer ein Unterschied. „Kann man nicht vergleichen.“ Rainer würde sich mehr Verständnis und Offenheit im Umgang miteinander wünschen.

Beatrice ist noch immer offen und Frauen nicht abgeneigt, auch wenn sie in einer festen Beziehung mit einem Mann lebt. „Mein Partner hat Verständnis. Ich mag den weiblichen Körper.“ Eine frühere Partnerin kam nicht klar damit, dass sie auch Männer mag. „Sie wollte keine feste Beziehung mit mir. Das hat wehgetan, denn ich war so verliebt.“ Bisexuell zu sein, sei „herrlich gefährlich“.

Bisexualität

Wie hoch der Anteil der Bisexualität in der Bevölkerung ist, lässt sich nur schwer einschätzen. Aussagen in der Literatur bewegen sich sehr weit auseinander. Vielfach wird der Kinsey-Report zitiert, der 1948 zwischen 90 und 95 Prozent der Bevölkerung als „bis zu einem gewissen Grad bisexuell“ einstufte. Tatsächlich werden bisexuelle Orientierungen eher selten ausgelebt. Eine britische Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov aus dem Jahr 2015 ergibt einen Anteil von 19 Prozent Bisexuellen (Personen, die sich selbst auf der Kinsey-Skala zwischen 1 und 5 einstufen), bei den 18- bis 24-Jährigen sogar 43 Prozent Bisexuelle. Dabei benutzen nur 2 Prozent der Befragten die Bezeichnung „bisexuell“ für sich selbst.