Angelika Stein leitet das Migrationszentrum. Foto: Iris Frey - Iris Frey

Das Migrationszentrum in der Spreuergasse hat sein 20-jähriges Bestehen gefeiert. Einrichtungsleiterin Angelika Stein sieht in den kommenden Jahren weiteren Beratungsbedarf.

Bad CannstattDas Migrationszentrum ist 20 Jahre alt und hat dies mit einem Fest in der Spreuergasse gefeiert. Angelika Stein, Leiterin des Migrationszentrum erläutert die Anfänge und die Lage.

Wie lange sind Sie jetzt schon im Migrationszentrum Bad Cannstatt tätig?
In Bad Cannstatt bin ich seit 1989 als Caritas-Mitarbeiterin tätig, für viele Jahre habe ich mich in der Flüchtlingssozialarbeit in verschiedenen Unterkünften engagiert. Hier im Migrationszentrum bin ich seit sieben Jahren. Ich habe hier Anfang 2012 die Funktion der Einrichtungs- und Teamleitung übernommen und bin seit dieser Zeit vor allem in der niederschwelligen Beratung tätig, die sich an Menschen aller Nationalitäten richtet, die in unserem Einzugsgebiet leben.

Wie fing es vor 20 Jahren an, wer hat es gegründet?
Als Einrichtung der Caritas wollten wir dort sein, wo die Menschen unseren Rat und unsere Begleitung brauchen. Sobald die Idee eines Migrationszentrums entstanden war, wollten wir sie in Bad Cannstatt verwirklichen. Zum einen, da Bad Cannstatt auch damals schon ein Stadtbezirk mit einen hohen Anteil von Migranten war und auch ein Schwerpunktbezirk für unsere Flüchtlingsarbeit war. Gleichzeitig hatten wir als Caritas Migrationsdienst schon gute Verbindungen zu beispielsweise dem Jugendamt, Migrantenvereinen und den Kirchengemeinden. Wir hatten dann das große Glück, in den Räumen der ehemaligen Schlosserei Veyhl einen sehr zentral gelegenen Standort zu finden, und haben immer viel Unterstützung von unserem Vermieter erfahren, wofür wir sehr dankbar sind.

Wie war damals die Situation bezüglich Flüchtlinge in Bad Cannstatt?
Es war eine Zeit, in der Flüchtlinge nicht mehr nur dezentral in möglichst kleinen Unterkünften untergebracht wurden. Viele der Flüchtlinge, die aus dem kriegerischen Konflikt im ehemaligen Jugoslawien auch nach Deutschland zu ihren Angehörigen geflüchtet waren, brauchten eine adäquate Unterkunft. Ich war selbst in der damals wohl größten Stuttgarter Unterkunft in der Neckarvorstadt tätig, mit einer Belegung von teilweise 20 Nationalitäten, und habe die Geflüchteten dabei unterstützt, hier in Stuttgart eine neue Heimat zu finden. Ich weiß von vielen, dass es ihnen auch gelungen ist.

Nun gab es in den vergangenen vier Jahren erneut eine Flüchtlingswelle, wie hat das Migrationszentrum dies geschafft?
Die Flüchtlinge werden sehr gut und kompetent von den Flüchtlingssozialdiensten unterschiedlicher Träger nach dem „Stuttgarter Modell“ versorgt und betreut. Natürlich kommen später manche der ehemals Geflüchteten und ihre Angehörigen, die später im Privatraum leben, bei Bedarf dann auch zu uns und nehmen unsere Angebote wahr.

Wieviele Besucher hatten Sie seitdem im Jahr?
Schon allein in der sogenannten offenen Sprechstunde, die wir an drei Tagen in der Woche anbieten, beantworten wir im Durchschnitt zwischen 250 und 350 Anfragen im Jahr. In der Fachberatung MBE (Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer) sind es ein Vielfaches mehr, 2018 wurden annähernd 700 Termine (und Folgetermine) vergeben.

Was waren Ihre Hauptaufgaben?
Wir unterstützen hier im Migrationszentrum Menschen aller Nationalitäten durch kostenlose Beratungshilfen, interkulturelle Begegnungsmöglichkeiten und qualifizierte Bildungsangebote. Dabei leben wir vom aktiven Mitmachen und Mitgestalten. So gibt es auch Angebote etwa des Roten Kreuzes oder des Elternseminars hier. Es gibt auch vielfältige Möglichkeiten, Ideen einzubringen und für ehrenamtliches Engagement, besonders in der Integrationsbegleitung. Im großen Feld der Beratung bieten wir allgemeine Sozial- und Lebensberatung, Beratung zu aufenthaltsrechtlichen Fragen und bei Inanspruchnahme von sozialen Leistungen, Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer (MBE). Darüber hinaus gibt es Möglichkeiten der Begegnung in Gruppenaktivitäten und im Internationalen Frauencafé. Ein weiteres wichtiges Angebot sind unsere Deutsch- und Integrationskurse und auch Informationsveranstaltungen zu verschiedenen Themenbereichen.

Wieviele Ehrenamtliche sind bei Ihnen tätig?
Aktuell engagieren sich fünf Ehrenamtliche regelmäßig in der Integrationsbegleitung und auch im Internationalen Frauencafé, das einmal monatlich stattfindet.

Wie ist heute, 2019, die Lage in Bad Cannstatt?

Im Bereich der niederschwelligen Migrationsberatung muss weiter von hohen Zahlen ausgegangen werden: Noch immer kommen viele Menschen mit großen Hoffnungen nach Stuttgart, finden dann weder Wohnung noch Arbeit. Auch die Binnenwanderung von Drittstaatsangehörigen in Europa wird anhalten. Das Fehlen von Perspektiven betrifft besonders Familien. Wie der aktuelle Sozialdatenatlas Kinder und Jugendliche deutlich ausführt, ist in Bad Cannstatt fast jedes 5. Kind unter sechs Jahren von Armut betroffen. Es muss angenommen werden, dass ein Teil dieser Kinder und Jugendlichen in absoluter Armut lebt und teils selbst die Grundbedürfnisse nicht mehr befriedigt werden können. Die Beratungsanfragen von Personen, die ehemals als Flüchtlinge oder Angehörige von Flüchtlingen eingereist waren, werden voraussichtlich ebenfalls zunehmen. Dabei handelt es sich um Flüchtlinge, die dauerhaft in Deutschland bleiben werden und bereits längere Zeit in Privatwohnraum leben. Konkret fanden im Migrationszentrum Bad Cannstatt 194 Vermittlungen statt, das bedeutet in 67,6 Prozent der Beratungsanfragen gab es einen Zugang zur Regelversorgung oder anderen weiterführenden Hilfen. Ich denke, über ihren niederschwelligen Zugang erfüllt unser Zentrum bereits jetzt eine wichtige Pförtner-Funktion in der Stuttgarter Beratungs-Gemeinschaft.

Die Fragen stellte Iris Frey