Korn beeindruckt beim Tourauftakt in der Schleyer-Halle mit einem faszinierenden monumentalen Sound. Foto: Mike Kunz Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiss

Stuttgart - Korn revitalisierten ein Genre, das zu Beginn der 90er Jahre als wenig zukunftsträchtig erschien: Heavy Metal. Mit ihrem Sound avancierte die 1993 gegründete US-Rockband, die ihre Wurzeln in der kalifornischen Kleinstadt Bakersfield hat, zu den Mitbegründern des neu ausgerufenen Genres Nu Metal. Limp Bizkit, Linkin Park oder längst etablierte Acts wie Sepultura und Machine Head: Sie alle nennen Korn als Einfluss.

Korn-Frontmann Jonathan Davis findet den Begriff Metal bei seiner Band freilich fehl am Platze. Er vertritt die Ansicht altgedienter True-Metaller, die den Stil als „Non-Metal“ abtun. Beide Seiten haben Recht. Eine Metal-Band wie Iron Maiden oder Judas Priest sind Korn nicht. Ihr Sound ist eher der Sound des Widerstands: Sie kombinieren die Wut und Wucht brachialer Metal-Musik mit tief tönender Düsternis, verbunden mit expressionistischen Ausbrüchen in Richtung Hip-Hop, Hardcore und Noiserock.

Entsprechend brennt zum Auftakt ihrer Deutschland-Tournee die Luft in der ausverkauften Stuttgarter Schleyer-Halle, mit Musik wie mit Energie. 7000 Fans, fast allesamt ganz in Schwarz gekleidet, feiern eine beeindruckende Nu Metal-Messe, denn das Grammy-prämierte Quintett, das von einem Keyboarder zusätzlich verstärkt wird, kann live überzeugen. Die Bühne ist aufgeräumt und die Lichtshow ungemein effektiv. Wie aneinandergereihte Solar-Panels wirkt das bühnenbreite LED-Band und erzeugt aus wenig Vielfalt trotzdem sehr viel betörende und blendende Atmosphären.

Musikalisch hat die Band dank der Rückkehr von Brian „Head“ Welch wieder gewonnen. Der Gitarrist war 2005 ausgestiegen, weil er mit der eingeschlagenen Musikrichtung der Band nicht mehr zufrieden war und sich seinem „Erlöser Jesus Christus“ widmen wollte. Im abgehängten Hallenrund zünden er und seine Bankkollegen ein Feuerwerk.

Emotionen pur

Primus inter pares ist Sänger Davis, der aus der Klassik kommt und ein breites stimmliches Spektrum abdeckt. Vom affektierten Chorknaben über emotionale Wutausbrüche bis hin zu bizarrem Brüllen und Growling liefert der 46-Jährige hörenswertes Entertainment hinter seinem extraordinären Mikrophonständer ab. Die silberne Frauen-Skulptur ist von keinem Geringeren als dem verstorbenen Schweizer Künstler H.R. Giger designt, der auch die Filmszenerie von „Alien“ geprägt hat. Früher beinahe dauerdepressiv, macht der im modernen Schottenrock gewandete, Rastalocken tragende Davis fast einen fröhlichen Eindruck und begeistert beim Metallica-ähnlichen „Shoots and Ladders“ obendrein mit einem obligatorischen, schrägen Dudelsack-Intro.

Der harte, düstere Klanghintergrund ist geprägt von quietschenden und verzerrten Gitarrenriffs vom zweiten Gitarristen James „Munky“ Schaffer. Bassist Reginald „Fieldy“ Arvizu slappt dazu seine rumorenden Hip-Hop-Riffs. Ray Luzier, der kein klassischer Metal-Drummer ist, thront im doppelten Wortsinne über allem. Berserkerhaft wirft er sein knalliges, energetisches Schlagzeugspiel in den Kampf mit den tonalen Untiefen seiner Mitstreiter. Für eher harmoniesüchtige Rockfans ist das schwere Kost, was Korn da vorsetzen. Verquere, zuweilen nicht besonders eingängige Songstrukturen lassen wenig Raum für nachvollziehbare Melodien. Die Band lebt von und mit ihrem zornigen, verstörenden und monumentalen Sound, der auf seine Art faszinierend ist.

Reise in die Vergangenheit

Alles andere als erwartet starten Korn, nachdem unter Sirengeheul der schwarze Gaze-Vorhang gefallen ist, mit zwei älteren Songs. Bereits mit „Right Now“ vom Album „Take a Look in the Mirror (2003) und „Here to stay“ vom Werk „Untouchables“ (2002) sorgt die Formation für eine ausgelassene Stimmung. Das dritte Stück „Rotting in Vain“ sowie das spätere „Insane“ bleiben die einzigen Titel vom aktuellen - dem mittlerweilen zwölften - Album „The Serenity of Suffering“ von 2016. Obwohl diese stilistisch moderner, melodisch-elektronischer sind, kommen sie beim Publikum fast genauso gut an wie der klassische Brachialmetal à la „Somebody Someone“ oder das stampfende Cameo-Cover „Word up“, das die Funk-Affinität der Band unterstreicht. Korn zeigen, dass sie noch genauso gut abrocken wie in ihrer Blütezeit in der zweiten Hälfte der 90er Jahre und ihre Reise in die Vergangenheit sehr abwechslungsreich ist.

Je länger das Konzert dauert, desto höher steigt die Stimmung. „Blind“, wie „Shoot and Ladders“ vom selbstbetitelten Debütalbum 1994, der veritable Schocker „Twist“, ein wunderbares Ohren-Martyrium, und „Good God“ beenden das reguläre Set. Noch einmal schleudern Korn ihren testosterongeladenen, aggressiven Hybrid aus Metal und Rap den jubelnden Fans entgegen. Die düsteren, zynischen Liedtexte, mit denen sich einst vernachlässigt fühlende Jugendliche insbesondere aus der Mittelschicht identifizierten, werden lauthals mitgesungen respektive mitgegrölt.

Wie sollte es anders sein, holt das Quintett zur Zugabe die ersehnten Klassiker „Falling away from me“ aus dem vierten Album „Issues“ (1999) sowie „Freak on a Leash“ vom Vorgänger „Follow the Leader“ (1998), dem Schluss- und Höhepunkt, hervor. Noch einmal zeigen Jonathan Davis und seine Mitstreiter, mit welcher Energie und rohen Kraft sie agieren. Man hört es in jedem mächtigen Akkord.

Nach 85 Minuten ist Schicht im Schacht. Aufhören, wenn es am schönsten ist, ist bei Korn an diesem Abend eine ideale Rezeptur. Auch wenn das die Die-Hard-Fans natürlich ganz anders sehen. Aber auch sie durften mit der Gewissheit nach Hause gehen: Nu Metal hat von seiner Faszination nichts verloren.