Pina Bausch liebte Frauen im Abendkleid: Cristiana Morganti in ihrer Hommage „Moving with Pina“. Foto: A. Carrara/Il Funaro Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Menschentürme mit drei Stockwerken und lebende Rorschachtests, allzu meditativer Tanz im Licht und eine wunderbare Hommage an Deutschlands Tanztheaterikone Pina Bausch: Das war das erste Wochenende beim großen Colours-Tanzfestival im Stuttgarter Theaterhaus. Dort wird seit dieser Ausgabe auch der kleinste Saal T4 mit intimerem Stücken bespielt, eine ausgezeichnete Idee. Denn Cristiana Morgantis „Moving with Pina“, eine Lecture Performance über die 20-jährige Arbeit der Italienerin im Wuppertaler Tanztheater, war ein warmherziger Abend mit fast philosophischen Anekdoten, voll Liebe und vor allem Witz. Die glutvolle, eloquente Römerin, eine der prägenden Figuren in Pina Bauschs Kompanie, ist eine begnadete Erzählerin, sie besitzt Selbstironie und ein treffliches Timing für trockene Pointen. Im feuerroten Bühnenkostüm oder in Trainingskleidung zeigte sie Solos aus „Agua“, „Kontakthof“ und anderen Abendfüllern, erklärte Bauschs Arbeitsweise und wie sie sich durch ihre Tänzer inspirieren ließ.

Ein spannender, anschaulicher Abschnitt war dem berühmten „Frühlingsopfer“ und seinem feuchten Torfboden gewidmet, der zu echter Angst und Verzweiflung bei den Wuppertaler Tänzern führte. Der Abend sei ihr Weg, Pina zu danken, so Morganti - und er war der Beweis dafür, was für kluge, große Künstler die Choreografin bei sich versammelte.

Das Gastspiel der Russell Maliphant Company dagegen wäre ohne das aufregende Lichtdesign von Michael Hulls eine Enttäuschung gewesen. Choreograf Maliphant wurde mit halsbrecherischen, hoch kletternden Duos und seinen vor Spannung vibrierenden Solos für die Ballerina Sylvie Guillem berühmt. Wenn die berühmte Französin nicht dabei ist, entpuppt sich die meditative, aus dem Yoga herrührende Bewegungssprache als arg minimalistisch und repetitiv. Dennoch staunt man, wie der Lichtzauberer Hulls eine Tänzerin in mystischen Schattenbildern vervielfacht, wie er Körper durch scharf abgegrenzte Lichtquadrate in einzelne Gliedmaßen zerlegt und durch sein imaginatives Leuchten einfach die Schönheit des tanzenden Körpers heraushebt.

Diffizile Balancen

Dann schlugen die Australier zu, mit sieben harmlosen jungen Leuten in Jeans und T-Shirt, gewissermaßen den netten Akrobaten von nebenan - würden sie nicht drei Mann hoch aufeinander stehen, würden sie nicht fröhlich von Brustkorb zu Brustkorb oder von Schulter zu Schulter hüpfen oder ihr Publikum auf zahllose andere Weisen zum Jauchzen, Staunen und Erschrecken bringen. Selten so gejapst in einer Aufführung: „Gravity & Other Myths“, also „Schwerkraft und andere Märchen“ heißt die sympathische Truppe sehr trefflich, ein Zirkusakt zum Greifen nah am Publikum, mit unglaublich austarierten Balancen und verrückten Ideen wie Strip-Seilspringen, Zauberwürfel-Kopfüberlösen und Schieß-den-Artisten-ab. Wenn er nicht Bodypercussion vom Feinsten auf Bauch und Wangen trommelte, steuerte Elliot Zoerner einen fantasievollen Soundtrack bei.

Noch diffizilere Balancen hatten die australischen Landsleute Narelle Benjamin und Paul White im Sinn, ihr „Cella“ war die erste Uraufführung des Festivals. White gehört als einer der Jüngsten zum Wuppertaler Tanztheater, Benjamin ist eine feste Größe der freien Szene auf dem fünften Kontinent. Zu einer elektronischen Klanglandschaft, die mit „Kuhglocken in Space“ ganz passend umschrieben wäre, untersuchten sie die Symmetrien des Körpers, in einer vom reinen Formbewusstsein zu tieferen Inhalten vordringenden Mischung. Ein tranceartige Ruhe entstand aus all den Spiegelungen, die sie mit ihren Körpern formten - an der Vertikale oder der Horizontale, an Kreisachsen oder über den Kreismittelpunkt, sich wie Yin und Yang ergänzend oder gegenübertretend. Manchmal mäanderten Arme und Beine wie in lebenden Rorschachtests, formten Bilder wie Tintenwolken in Wasser, die beiden wurden zu mehrarmigen Göttern oder rätselhaften Insektenwesen. Zuweilen wusste man nicht mehr, ob da einer oder vielleicht drei Körper verschlungen liegen. Wenn sich Benjamin und White im nicht-symmetrischen Teil an eher ausdrucksgebundenem Tanz versuchten, fiel die Spannung ab, hat man diese Art von zeitgenössischer Bewegung doch oft genug gesehen. Einmal wühlte White in Benjamins Bauch, formte eine Fleischfalte und zog sie daran hoch, danach aber siegten wieder die Symmetrien, diesmal in Vollendung an beiden Achsen gespiegelt.

Zahlreiche weitere Gastspiele bis 23. Juli

www.coloursdancefestival.com