Wie einst im Mai 68: Petra Afonin singt retro-radikale Lieder. Foto: A. Gonschior - A. Gonschior

Vor der Premiere: James Lyons inszeniert Ortrud Beginnens „Mein Freund Rudi“, einen „Wohltätigkeitsabend für alternde 68er“, an der Esslinger Landesbühne.

EsslingenWir schreiben das Jahr 1989. Geschichte wird gemacht, der Mauerfall steht bevor. Nur die Alt-68er sind nicht mehr auf dem Marsch, sondern in den Institutionen. Und mancher satt und saturiert gewordene Ex-Revoluzzer denkt an die Zukunft, die nicht mehr Sozialismus und Utopie, sondern Ruhestand und Seniorenresidenz heißt. Ein gefundenes Fressen für Ortrud Beginnen, Lästermaul, Kabarettistin und große Theaterkünstlerin. Sie schuf damals ihr Solo-Stück „Mein Freund Rudi“ mit viel Gesang und dem aussagekräftigen Untertitel: „Ein Wohltätigkeitsabend für alternde 68er.“ Theatralisch-fiktive Klammer: eine Spendensammlung für den Bau einer linksradikalnostalgischen Geriatrie-Reha, eines „Stamm-Heims“ für die im staatsfeindlichen und dann im Staatsdienst ergrauten APO-Opas.

Wir schreiben das Jahr 2018, ein Datum doppelten Gedenkens: 1968 ist 50 Jahre vorbei, und im Januar hätte die 1999 gestorbene Ortrud Beginnen 80. Geburtstag gehabt. Der Regisseur James Lyon lässt aus diesem doppelten Anlass an der Esslinger Landesbühne (WLB) den „Freund Rudi“ wieder aufleben. Die Solorolle spielt und singt Petra Afonin (deren Altenheim-Revue „Schnabeltassen“ 2016 an der WLB uraufgeführt wurde), die musikalischen Arrangements und die Live-Begleitung besorgt Oliver Krämer – und das Publikum findet sich in der Rolle der glorreichen Alt-Kommunarden wieder. Theatralisch-fiktive Klammer ist nun: Die Spendensammlung von einst war erfolgreich, in der „Rudi Dutschke Wellness Oase“ lindern die Veteranen des anti-autoritären Kampfs den Frust nach der sexuellen Befreiungslust, lecken die Wunden, die das politische Realitätsprinzip schlug. Für Retro-Radikale gibt’s eine Erlebniswoche mit Wasserwerferbehandlung, und zu alldem erklingen die alten Kampflieder und -parolen von Joan Baez bis Mao Tse-tung, von Robert Schumann bis zu den Rolling Stones. Schumann? Na klar, die geschichtsbewussten 68er wussten sich sehr wohl auf ihre 1848er-Ahnen und deren Liedgut zurückzudatieren.

Behutsam „upgedatet“ habe man Beginnens Original, sagt Lyons, ein bisschen zeitgeschichtliche Nachhilfe in den Text geschmuggelt, wo er sonst tatsächlich nur für demenzfreie Alt-68er verständlich wäre. Davon abgesehen wolle man auf keinen Fall „Witze erklären, bevor man sie erzählt“, versichern Afonin und der Regisseur. Genausowenig wolle man die 68er und ihre Zeit verklären, sondern satirisch erklären. „Die alten Säcke kriegen ihr Fett ab“, verspricht Lyons. Da geht es dann um den Ausverkauf der Ideale an den Wohlstand, den in die Upperclass heimgekehrten Streetfighter, den SDS in der S-Klasse.

Die ausverkaufte Premiere beginnt am morgigen Donnerstag, 26. April, um 20 Uhr im Studio am Blarerplatz in Esslingen. Weitere Vorstellungen folgen am 30. April, 5. und 11. Mai, 7. und 29. Juni.