Das Hölderlinhaus wird wohl nicht mehr zum großen Jubiläum im Jahr 2020 in neuem Glanz erscheinen Foto: oh - oh

Eine „solide, gründliche und nachhaltige Modernisierung hat Vorrang vor übereilten Lösungen“, sagt der OB.Für den Hölderlinverein liefe eine Modernisierung mit Aufstockung auf einen „Teilabriss eines Kleinods“ hinaus.

Von Thomas Krazeisen

Nürtingen-Es gibt Neues über das dringend sanierungsbedürftige Nürtinger Hölderlinhaus zu berichten. Leider keine erfreulichen Nachrichten. Eigentlich wollte die Stadt im Mai einen erneuten Anlauf unternehmen, um das Leuchtturmprojekt des Schlossberg-Bildungszentrums, das wegen der angespannten Finanzlage der Stadt lange Zeit auf Eis gelegt werden musste (wir berichteten), endlich in trockene Tücher zu bringen. Stattdessen hat man nun einen weiteren Rückschlag hinzunehmen. Nach unserer Zeitung vorliegenden Informationen hat das baden-württembergische Wirtschaftsministerium einen Förderantrag der Stadt Nürtingen zur Sanierung beziehungsweise Modernisierung des Dichterhauses abgelehnt. Beantragt worden sind danach Gelder im Rahmen des sogenannten Investitionspakts Soziale Integration im Quartier (SIQ); er ist eines einer Reihe von Förderprogrammen für die städtebauliche Erneuerung. Als Grund für die Nichtberücksichtigung des Nürtinger Förderantrags wird die noch nicht abschließend durch den Gemeinderat geklärte Nutzung und Finanzierung genannt. Zudem wird darauf hingewiesen, dass das Hölderlinhaus außerhalb eines förmlich festgelegten Sanierungsgebietes liege.

Nürtingens Oberbürgermeister Otmar Heirich bestätigte unserer Zeitung gegenüber die Nichtberücksichtigung des Antrags und verwies darauf, dass das beantragte Programm „sehr kurzfristig aufgelegt“ worden und eine entsprechende Quartiersuntersuchung durch ein anerkanntes Büro in der Kürze der Zeit nicht möglich gewesen sei. Umso wichtiger sei es nun, so Heirich, „endlich in die Mehrfachbeauftragung zu gehen, damit eine konkrete Planung vorgelegt werden kann. Nur dann besteht eine Aussicht auf Bezuschussung“. Der OB sieht daher jetzt in erster Linie den Nürtinger Gemeinderat in der Pflicht, um zügig den Weg in die Mehrfachbeauftragung freizumachen.

Die Stadt selbst will einen neuen Anlauf unternehmen, um Fördergelder aus dem lukrativen SIQ-Topf zu erhalten, bei dem laut Wirtschaftsministerium der Fördersatz von Bund und Land abweichend vom Regelprogramm 90 Prozent, der Eigenanteil der Gemeinde also lediglich zehn Prozent beträgt. Wie das Wirtschaftsministerium in Stuttgart mitteilte, gilt - Stand heute - auch für den soeben aufgelegten Investitionspakt Soziale Integration im Quartier 2018 der höhere Fördersatz von 90 Prozent.

Die zunächst einmal verpasste Chance ist umso schmerzlicher, als man nun durch die neuerliche Verzögerung des Projekts wohl kaum mehr der Blamage entgehen wird, die man unbedingt vermeiden wollte. Die Stadt selbst sieht derzeit keine realistischen Chancen mehr, das Hölderlinhaus rechtzeitig zum 250. Geburtstag des großen Dichters im Jahr 2020 fertigstellen zu können, wenn die literarische Welt auf die schwäbischen Hölderlin-Städte Lauffen, Nürtingen und Tübingen schaut. Eine „solide, gründliche und nachhaltige Modernisierung“ sei jedoch allemal besser als „übereilte Lösungen, die womöglich Nachbesserungen erfordern“, sagt Otmar Heirich. Der OB macht aber keinen Hehl daraus, dass er es für zielführend erachtet hätte, wenn ihm der Gemeinderat die Mittel freigegeben hätte und das Projekt aus normalen Haushaltsmitteln vorfinanziert würde. Dann könne man in andere Programme Anträge stellen und da auch umschichten: „Das wäre sicher eine sinnvolle Lösung gewesen“, so Heirich. Doch der Gemeinderat habe diesen Weg abgelehnt - „das ist sicherlich kein Ruhmesblatt für die Stadt“.

Die vom Oberbürgermeister und den städtischen Planern favorisierte Modernisierungsvariante ist mit einer Aufstockung des Gebäudes verbunden. Durch das gewonnene zusätzliche Dachgeschoss stünde zusätzliche Nutzfläche zur Verfügung, von der vor allem die örtliche VHS profitieren soll. Für einen Flächengewinn von etwa 160 Quadratmetern wären also angesichts geschätzter Modernisierungsgesamtkosten von 4,6 Millionen Euro fast zwei Millionen Euro Mehrausgaben gegenüber einer reinen Bestandssanierung (ca. 2,65 Millionen), wie sie der Nürtinger Hölderlinverein fordert, fällig.

Für die Stadt ist die aufgestockte Modernisierungsvariante gleichwohl langfristig die wirtschaftlichere Lösung. Die Gebäudewirtschaft der Stadt Nürtingen (GWN) rechnete im vergangenen Herbst vor, dass über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren hinweg Mehrkosten bei der Bestandssanierung von 400 000 Euro zu Buche schlügen. Diese Rechnung stimmt aber nur unter der Voraussetzung, dass das Raumprogramm im bestehenden Gebäude nicht untergebracht werden kann. In der angenommenen 50-Jahre-Bilanz sind die Kosten für die Miete der Räume in der Frickenhäuser Straße, die natürlich bei der Unterbringung der gesamten VHS am Schlossberg entfallen würden, noch enthalten. Kostenpunkt (warm): 2,4 Millionen Euro.

Was aber, wenn sich herausstellte, dass das Raumprogramm im bestehenden Gebäude untergebracht werden könnte? Davon ist der Hölderlinverein überzeugt. Die Stadt ihrerseits argumentiert, dass es in einem lediglich bestandssanierten Gebäude, das unter Berücksichtigung der Vorschriften zum Brandschutz und zur Barrierefreiheit quasi bloß den Ist-Zustand bewahrte, weder einen geeigneten Raum für die Hölderlin-Dauerausstellung noch eine Öffnung zur Neckarsteige hin und auch keine zusätzlichen Räume für die berufliche Bildung gebe.

Das Hölderlinhaus bietet heute etwa 1300 Quadratmeter Platz. Das Raumprogramm umfasst ausweislich der Aufgabenstellung etwas mehr als 900 Quadratmeter. Darin sind auch schon etwa 90 Quadratmeter für die geplante Hölderlin-Präsentation enthalten. Die genannten gut 900 Quadratmeter würden nicht ausreichen, sagt OB Heirich. Man werde am Ende auf deutlich über 1000 Quadratmeter kommen - auf wieviele genau, könne man aber erst im Rahmen der Mehrfachbeauftragung beziffern. So brauche man noch Nebenflächen für einen Empfangsbereich, ein Café, aber auch für Lager- und Archivbereiche, für WCs, Putz- und EDV-Stockwerksräume sowie Aufzugsflächen; für diese Nebennutzflächen seien in der Regel etwa 30 Prozent der Hauptnutzfläche zu veranschlagen. Nun kommt man in diesem Fall vielleicht aber auch mit weniger aus, da im Raumprogramm teilweise schon Nebenflächen ausgewiesen sind.

Eine offene Diskussion über das vorliegende Raumprogramm habe es bis heute nicht gegeben, beklagt die Hölderlinvereinsvorsitzende Ingrid Dolde. Die Erörterung dieses Themas, mit dem die Stadt ihre Aufstockungspläne von Anfang an hauptsächlich begründet habe, sei überfällig, auch wenn klar sei, dass zum heutigen Zeitpunkt unmöglich die endgültigen Funktionseinheiten schon auf den Quadratmeter genau bestimmt werden könnten.

Für Ingrid Dolde und ihre Mitstreiter im Hölderlinverein ist eine Bestandssanierung schon deshalb geboten, weil im Falle einer Aufstockung Maßnahmen zur Erdbebensicherheit ausgelöst würden. Im Ergebnis würden diese tragwerksbedingten massiven Eingriffe, bei denen Stahlträger kreuz und quer durch den Kubus gezogen werden müssten, das Hölderlinhaus als ehemaligen Wohn-, Schaffens- und Rückzugsort des Dichters vollkommen „unglaubwürdig“ machen und einem Teilabriss dieses kulturhistorischen Kleinods gleichkommen. Man würde sich selbst ohne Not ein Alleinstellungsmerkmal unter den Hölderlin-Städten nehmen, denn an keinem anderen Wohn- und Wirkungsort des Dichters könne man als Stadt noch mit so viel originaler Bausubstanz punkten wie eben in Nürtingen. Die Maßgabe der Bewahrung der historischen Substanz schließt für den Hölderlinverein eine Aufstockung deshalb grundsätzlich aus.

Otmar Heirich hält dagegen: Auch bei einer reinen Bestandssanierung würde man mit Blick auf die Erdbebensicherheit ohne möglicherweise erhebliche Eingriffe in die Substanz nicht auskommen. „Deshalb legen wir auch Wert darauf und werden das vorschreiben, dass Architekt und Statiker gemeinsam ein Konzept entwickeln“.

Klärungs- beziehungsweise Präzisionsbedarf gibt es für den Hölderlinverein auch in der Frage des Daches. Der Gemeinderat hat im Juli 2015 laut dem Ergebnisprotokoll der Stadt beschlossen, dass die Machbarkeitsstudie „weiterzuentwickeln“ sei und dass für die Vorbereitung einer Mehrfachbeauftragung als Bearbeitungsgrundlage die „Variante 2 (Bestand mit Mansarddach) dienen soll“. Auf der anderen Seite bekundet die Aufgabenstellung den Willen zu einer „selbstbewussten architektonischen Gestaltung“ gegenüber einem bloßen „Historisieren“ und öffnet damit Interpretationsspielraum. Doch wie weit darf am Ende eine solche nicht historisierende Dachoptik gehen, die doch beschlussgemäß dem historischen Mansarddach angepasst werden soll? Ingrid Dolde warnt: Damit nicht eines Tages darüber gestritten werde, ob nicht durch einen sozusagen gutgläubig vom Gemeinderat ausgestellten Blankoscheck das auch vom Land als schützenswertes Kulturerbe angesehene Hölderlinhaus auf eine Weise verändert wird, die man so dann doch nicht gewollt hat, müssten jetzt dringend gestalterische Eckpunkte festgelegt werden, die dem kulturhistorisch einmaligen Erbe der Stadt und seinem Erscheinungsbild im Kontext des Schlossberg-Ensembles Rechnung tragen.

Dass solche Befürchtungen nicht völlig von der Hand zu weisen sind, zeigt das - ästhetisch und funktional gewiss ganz anders gelagerte - Beispiel des soeben eröffneten Stuttgarter Dorotheen-Quartiers. Architekten und Politiker streiten sich nun, nachdem Tatsachen geschaffen sind, um die Dachoptik des repräsentativen Neubaus am Stuttgarter Karlsplatz. Dabei sind jüngst laut Medienberichten Sätze gefallen wie: „Die aktuelle Gestaltung entspricht nicht der Planung“, während der verantwortliche Architekt die Kritik zurückgewiesen habe und von einer „absurden“ Diskussion spreche.

Genau um einer solchen unnötigen, das Klima zwischen Stadtverwaltung, Räten und Bürgerschaft belastenden Debatte vorzubauen, sollten jetzt in Nürtingen die Prämissen für die Neugestaltung des Hölderlinhauses soweit wie möglich präzisiert und transparent kommuniziert werden. Fatal wäre es, wenn sich in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigte, dass ausgerechnet in der finanziell nicht eben auf Rosen gebetteten Stadt aus welchen Gründen auch immer an einer Aufstockung des Hölderlinhauses um jeden Preis festgehalten wird.