Projektion und Wirklichkeit: Szene aus „Metamorphosen oder die Struktur der mittleren Jahre“. Foto: Lukas Acton Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Stuttgart - „Mit 20, 30 war ich viel zu selbstkritisch, um entspannt zu sehen, dass ich jung bin.“ Catriona, um die 60, trifft mit solchen Sätzen Bizarrerien unseres Seins auf den Punkt. Bewusst und minuziös erleben wir unsere Vergänglichkeit und müssen zuschauen, wie die Zeit von Jahr zu Jahr gnadenlos endlicher wird. Das Vergehen der Zeit, das Altern: ein schwergewichtiges Thema, das „Metamorphosen oder die Struktur der mittleren Jahre“ behandelt. Das Stück hatte jetzt im Stuttgarter Theater Rampe als Koproduktion mit dem Schlachthaus Theater Bern Premiere: eine Performance der Schweizer Theatergruppe Mother T.-Rex, die die Rampe-Co-Intendantin Marie Bues in Szene gesetzt hat. Das Bühnenbild von Michael Guserle zeigt einen grünen und blühende Ziergarten aus Kübelpflanzen: Sinnbild des vergänglichen Lebens.

Das Stück handelt von vier Frauen, die sich selbst spielen: die Schauspielerinnen Catriona Guggenbühl, Grazia Pergoletti, Vera von Gunten und Anne Haug. Interessant ist: Sie sind alle im Abstand von jeweils genau 10 Jahren geboren und damit in ganz unterschiedlichen Welten und ihren gesellschaftlichen Umbrüchen groß geworden: Catriona, 60, mit der Frauenbewegung, Grazia, 50, mit dem Kalten Krieg, Vera, 40, mit dem Berliner Mauerfall und Anne, 30, mit dem Anschlägen von 9/11.

Bevor die vier Frauen die Bühne betreten, sieht man sie auf der Leinwand, involviert in eine Art Selbsthilfegruppen-Outing. Natürlich ist das Aussehen für Schauspielerinnen ein Kapital. Man altere öffentlich, heißt es einmal. Vieles dreht sich um die Schönheit, die mit dem Alter schwinde. Die Schönheit, wendet die eine ein, liege im Auge des Betrachters. Was hier Fiktion ist und was reale Autobiographie der vier, bleibt in der Schwebe. Das gibt dem Abend bei aller Melancholie eine gewisse Leichtigkeit.

„Zu früh für eine Kreuzfahrt“

Im Programmheft liegt ein Schmetterlingssticker, Sinnbild der Metamorphose: vom Ei zur Raupe zur Puppe zum Schmetterling. Ovids „Metamorphosen“ gaben dem Abend seinen Namen. Ovid-Worte sind das Motto: „Und wir verändern uns immer, ohne Unterlass. Morgen werden wir nicht mehr sein, was wir waren oder was wir heute sind. Alles verschlingende Zeit, und du, eifersüchtiges Alter: Ihr verzehrt. Nagt an allem, Stück für Stück, und überlasst es dem ewigen Sterben.“ Die Erkenntnisse der vier Frauen sind freilich banaler: „Ich habe meinen Zenit überschritten, und das ist auch gut so.“ „Es ist zu früh für eine Kreuzfahrt, zu früh, keinen Sex mehr zu haben.“

Im Monolog und Dialog geht es wortreich um Zukunftsverlust, Selbstfindung und die unterschiedlichen Stadien, die wir im Leben durchmachen. „Alles ist immer im Fluss“. Und während die Pflanzen in Kübeln besprüht, bestäubt, getätschelt werden, produziert DJ Christine Hasler live knisternde und schmatzende Soundteppiche, raunt zwischendurch - sich selbst auf der E-Gitarre begleitend - coole Songs ins Mikro: mal auf Englisch („I’m your future, I’m your life“), mal auf Französisch („Je suis là pour toi“). Und das das Damenquartett flüstert Romantexte oder anderes in die symmetrisch im Viereck aufgehängten Mikros.

Im Dauer-Reflektieren wird es mehr und mehr egal, wie alt die eine oder andere eigentlich ist. So richtig fröhlich ist keine. Das Altern hat ja auch seine Vorteile: Frau wird irgendwie entspannter, während die Jüngeren keine Zeit für Langeweile haben und nach dem Motto leben: bloß kein Stillstand. Dafür hat die 30-Jährige nichts dagegen, auch mal im Trainingsanzug einzukaufen.

Ovid lässt grüßen

Eine Antwort auf die Frage, wie man mit der Tatsache umgehen soll, dass das Altern eben nichts für Feiglinge ist, darf man natürlich nicht erwarten. Es ist eine Performance: leicht, locker, episodisch, vieles wird angedacht, verworfen, wie aus dem Stegreif. Gewürzt wird der Abend mit Ovid-Einsprengseln wie dem Daphne-Mythos, der als Traum daherkommt: Auf der Flucht vor einem männlichen Wesen wird Vera vom Vater in einen Baum verwandelt.

Der gehegte und gepflegte Lebensgarten wird am Ende des Abends in Migros-Pappkartons gepackt und zum Abtransport bereitgestellt. Auch die vier Damen nehmen in diesen Umzugskartonagen Platz, mit riesigen Grünpflanzen auf dem Kopf. Ein lustiges Schlussbild.