Für die Erforschung der südwestdeutschen Demokratiegeschichte eröffnet die digitale Quellensammlung neue Perspektiven. Foto: Bulgrin Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

Stuttgart- Das Landesarchiv Baden-Württemberg mit seinen acht Abteilungen an insgesamt zehn Standorten ist so etwas wie der Zentralspeicher für die Vergangenheit unseres Landes. Aufbewahrt sind darin die unterschiedlichsten Dokumente - von der mittelalterlichen Schenkungsurkunde über Datenbestände von Justiz-, Polizei- oder Umweltbehörden bis hin zu E-Mails, Stiftungsunterlagen und Nachlässen von Personen der Zeitgeschichte. Damit sichert die Behörde einen bedeutenden Teil des kulturellen Erbes für die Nachwelt - in laufenden Metern gezählt sind das bis heute rund 150 Kilometer Archivgut. Im Zeitalter von E-Government, also der zunehmenden elektronischen Abwicklung der Verwaltungs- und Regierungsgeschäfte, spielt das Thema Digitalisierung auch in den Archiven eine immer größere Rolle. Schon heute liegen mehr als 230 Millionen Datensätze als rein elektronische Archivalien im „digitalen Magazin“. Dessen Anteil am Gesamtarchivgut steigt kontinuierlich - ebenso wie auf der anderen Seite die Zahl der Digitalisate, also der ins Online-Gedächtnis transferierten „klassischen“ papierenen Archivalien, wie sie über Jahrhunderte hinweg angefallen sind (zurzeit rund zehn Millionen Digitalisate).

Digitale Erinnerungskultur

Das Archiv der Zukunft wird in einer zunehmend vernetzten Welt automatisch immer mehr Teil eines europäischen beziehungsweise globalen „Langzeitgedächtnisses“. Auf nationaler Ebene profiliert sich das Landesarchiv Baden-Württemberg schon seit Jahren als Kompetenzzentrum der Digitalisierung im Archivbereich. Und ebenso als Dienstleister und Forschungspartner, denn die als Archivgut gesicherten Bestände stehen auch privaten Nutzern zur Verfügung, sei es in den Lesesälen des Landesarchivs oder, was immer wichtiger wird, online am heimischen PC. Ein Meilenstein auf dem Weg in eine digitale Erinnerungskultur war 2012 die Eröffnung des Online-Portals „LEO-BW“ anlässlich des 60-jährigen Jubiläums der Gründung des Südweststaats. Jetzt wurde unter dem Dach dieses landeskundlichen Basisinformationssystems mit der Freischaltung einer Online-Quellensammlung anlässlich des 2018 anstehenden 100. Jahrestages der Gründung der Republiken in Baden, Württemberg und Hohenzollern ein weiterer wichtiger Schritt getan. Rund 900 000 einschlägige Dokumente der Jahre 1918 bis 1923, also des Übergangs von der Monarchie zur Weimarer Republik, stehen ab sofort zur Verfügung.

„Das in diesem Umfang und thematischen Zuschnitt bundesweit einmalige E-Science-Projekt leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der deutschen und baden-württembergischen Demokratiegeschichte“, sagt Ulrich Steinbach, Amtschef im Wissenschaftsministerium. So könnten nun Forscher weltweit und unabhängig von Zeit und Ort mit dem historischen Erbe arbeiten. Das Land hat das vom Landesarchiv und der Universität Stuttgart gemeinsam entwickelte Digitalisierungsprojekt mit 450 000 Euro unterstützt.

Landesarchivpräsident Robert Kretzschmar hob die Verbindung von wissenschaftlicher Kompetenz und archivarischem Know-how hervor: „Wir kombinieren die Digitalisierung von Quellen mit einer thematischen Präsentation und verzahnen so die archiv-, geschichts- und informationswissenschaftliche Expertise des Landesarchivs und der Universität.“ Für die Stuttgarter Landeshistorikerin Sabine Holtz ergeben sich aus dieser Kooperation neue Forschungsperspektiven: „Über den Beginn der ersten Demokratie im deutschen Südwesten wissen wir - im Unterschied zum demokratischen Aufbruch auf Reichsebene - nur wenig.“

Angesichts der Masse des Archivguts musste für die neue Online-Präsentation eine Auswahl getroffen werden. „Unser Ziel war es, die gewaltigen Transformationsprozesse in Politik und Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur ab den letzten Kriegsmonaten 1918 bis etwa 1923 zu veranschaulichen“, erläutert der stellvertretende Präsident Gerald Maier die Konzeption des von ihm geleiteten Projekts.

Die neue Quellensammlung ist sehr übersichtlich und benutzerfreundlich gestaltet. Und sie leistet mehr, als der Name suggeriert. Sie beinhaltet nämlich nicht nur eine Zusammenstellung von einschlägigen historischen Dokumenten zum Thema, sondern auch wissenschaftliche Begleittexte zur Einordnung der Quellen in den historischen Kontext. Ein Zeitstrahl mit Schlüsseldokumenten verschafft einen chronologischen Überblick über die Epoche. Für die eigentliche Recherche gibt es unterschiedliche Such- und Navigationsinstrumente. Sie kann sowohl über die drei ehemaligen südwestdeutschen Staatsgebiete Baden, Württemberg und Hohenzollern erfolgen als auch über eine Stichwort- sowie eine kartenbasierte Suche. Außerdem ist eine thematische Navigation durch die Bereiche Politik, Wirtschaft und Soziales sowie Gesellschaft, Bildung und Kultur möglich. Die Ergebnisliste kann alphabetisch, aber auch nach der Relevanz der Quellen angezeigt werden. Auf diese Weise erhält man etwa unter der Rubrik Bildung unter den wichtigsten Treffern ein Schreiben des Badischen Kultusministeriums von 1920 über die Anrechnung der Kriegsdienst- auf die Studienzeit und über die Einführung eines Zwischensemesters, um die hohe Zahl der Studienanfänger zu bewältigen.

Die digitale Quellensammlung versteht sich als interdisziplinäres landeskundliches Angebot, in das auch relevante Inhalte von Projektpartnern wie der Badischen und der Württembergischen Landesbibliothek sowie dem Haus des Dokumentarfilms eingespeist werden. Zudem sei, wie Projektleiter Maier sagt, eine überregionale Vernetzung mit anderen Portalen geplant - etwa mit der Deutschen Digitalen Bibliothek, unter deren Dach die Datenbestände von derzeit rund 360 Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen vernetzt sind, und dem mit ihr verbundenen Archivportal-D.

www.leo-bw.de/web/guest/themenmodul/von-der-monarchie-zur-republik