Fühlt sich den Stuttgarter Staatstheatern noch immer sehr verbunden: Demis Volpi. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Ein wenig plötzlich nach seinem kürzlichen Triumph mit der Inszenierung von „Tod in Venedig“, aber nicht ganz überraschend nach seinen letzten Choreografien fürs Stuttgarter Ballett trennt sich dessen Intendant Reid Anderson von seinem Hauschoreografen Demis Volpi. Der Vertrag des 30-Jährigen wird nach dieser Spielzeit nicht weiter verlängert, er war seit 2004 als Tänzer und seit 2013 als fester Choreograf am Staatstheater engagiert.

Diese Entscheidung, so wird Anderson in der Pressemitteilung zitiert, habe er bereits im Juli 2016 nach der Uraufführung von Volpis Ballett „Salome“ getroffen. Der Erfolg von „Tod in Venedig“ bestätige ihn nun in seiner Entscheidung: „Demis Volpi ist ein großartiger Theatermacher und feinfühliger Geschichtenerzähler. Hier, eher als in der Choreografie, sehe ich seine wahre Begabung.“ Das ist einerseits ein Kompliment für den Bilder-Erfinder Volpi und andererseits fast eine Ohrfeige für den Choreografen. Der hatte 2006 mit ersten kleinen Werken bei den Noverre-Abenden für junge Choreografen begonnen, die durch laut auf den Boden klöppelnde Spitzenschuhe oder Würgegriffe um den Ballerinenhals aufgefallen waren, hatte mit einer geisterhaften Mädchen-Matrix in „Big Blur“ begeistert, mit den Schräglagen und Würfen im Pas de deux „Little Monsters“.

Durch Bewegung erzählen

Bereits bei den fantasievollen, kindgerecht und doch frech ausgedachten Szenen in „Karneval der Tiere“ lag sein Fokus eher auf der Inszenierung, erst recht in „Krabat“, wo der Tanz zum Diener eines faszinierenden Geschichtenerzählers wurde. Die Balance ging grade noch auf, weil Volpi in Bewegung erzählen konnte und weil er, gemeinsam mit seiner Ausstatterin Katharina Schlipf, eine unglaubliche Fantasie der Bilder entwickelte. Die Karten für den Abend waren regelmäßig das heißeste Ticket der Stadt, über 30 ausverkaufte Aufführungen lockten sehr viele Erstgänger ins Theater, immer gab es am Schluss spontane Bravo-Rufe, als der Vorhang fiel.

Dann aber wollten Demis Volpi einfach keine Schritte mehr einfallen - komischerweise verabschiedete er sich auch von den vielen ungewöhnlichen Details, die er in seinen ersten Skizzen so eigenwillig eingesetzt hatte. „Aftermath“ ging von einer großartigen Idee aus, die im Lauf des Stücks sacht zerbröselte, „Die Geschichte vom Soldaten“ blieb trotz einer bis zum Exzess verbogenen Alicia Amatriain pure Illustration am Text entlang, der Abendfüller „Salome“ schließlich hatte im Grunde keinen choreografischen Persönlichkeitsstil mehr, sondern lebte fast ausschließlich von der Inszenierung. Durch die Kollegen Christian Spuck und Marco Goecke war der Titel des Stuttgarter Hauschoreografen zu einem Gütesiegel geworden, Volpi wurde sofort nach seiner ersten Auftragsarbeit für Reid Anderson zu anderen Kompanien eingeladen, bis hin zum American Ballet Theatre in New York. Fürs Königliche Ballett in Antwerpen schuf er 2016 einen neuen „Nussknacker“, der auch nicht unbedingt hymnische Kritiken bekam.

„Immer sehr inspirierend“

Und dann Benjamin Brittens „Tod in Venedig“, eine großartige, durchdachte, bildmächtige Inszenierung mit starker Personenregie. Liegt hier in der Oper vielleicht Demis Volpis Zukunft? Dem bei all seinen Erfolgen und Misserfolgen immer noch jungen, klugen Argentinier, über dessen völlig akzentfreies, rhetorisch beachtliches Deutsch man immer wieder staunen kann, wird die Arbeit sicher nicht ausgehen, er hat genügend Angebote aus aller Welt, auch für Operninszenierungen. Neben den intellektuellen, aber oft bewegungsarmen Regietheater-Größen ist ein beide Begabungen umfassendes Talent wie das seine dort dringend willkommen. Traurig ist Volpi natürlich trotzdem, hat er doch seine Zeit beim Stuttgarter Ballett „immer als sehr produktiv, frei und inspirierend empfunden“. Vielleicht gibt ihm die Nichtverlängerung einen Stoß, und er besinnt sich wieder auf seine choreografischen Grundlagen, oder vielleicht wird er mit Katharina Schlipf zu den neuen, jungen Stars der deutschen Opern-Regieteams. „Den Staatstheatern Stuttgart als meiner künstlerischen Heimat fühle ich mich weiterhin sehr verbunden“, lässt er jedenfalls in der Pressemitteilung ausrichten. Staunen macht vor diesem Hintergrund das (bisher nicht weiter verfolgte) Unterfangen des Anderson-Nachfolgers Tamas Detrich, auch den Vertrag des zweiten Hauschoreografen Marco Goecke nicht zu verlängern (wir berichteten). Das Stuttgarter Ballett wäre dann ab Mitte 2018 ganz ohne Hauschoreograf dagestanden. Detrich scheint einen größeren Bruch in der Tradition zu beabsichtigen, als man bisher vermuten mochte.