In Käfig und Maske: Vassilissa Reznikoff (links) und László Branko Breiding in Claudia Bauers „Maria Stuart“-Inszenierung. Foto: Hans Jörg Michel - Hans Jörg Michel

Schiller lebt: Die scharfsinnige Analyse von Macht und Ohnmacht in seinen Dramen entwickelt nach wie vor politische Brisanz. Zu erleben war das bei den Schillertagen Mannheim beispielsweise in Claudia Bauers „Maria Stuart“-Inszenierung.

MannheimDie politische Kraft von Schillers Dramen ist ungebrochen. Wie aktuell die scharfsinnigen Analysen von Macht und Ohnmacht bis heute sind, kitzelt Regisseurin Claudia Bauer aus dem Drama „Maria Stuart“ heraus. Das Duell der Königinnen Maria und Elisabeth fechten in ihrer Inszenierung bei den 20. Schillertagen am Nationaltheater Mannheim nicht nur zwei starke Frauen aus. Die Positionen der so unterschiedlichen Monarchinnen verkörpert ein mehrstimmiges Ensemble. Die Faszination von Bauers auf die Spitze getriebenem Regietheater liegt in der Klarheit, wie sie Schillers kämpferische Energie auf die Bühne bringt.

Vernunft statt Verrohung

Mit dieser Eigenproduktion setzt das Nationaltheater starke Akzente. Christian Holtzhauer, Intendant des Schauspiels und künstlerischer Leiter der Schillertage, hat die 20. Auflage des Festivals, das noch bis 30. Juni läuft, unter ein faszinierendes Motto gestellt: „Fieber“ verweist auf Schillers Briefe „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“. Nach dem blutigen Ende der Französischen Revolution suchte der Dichter nach einem Weg, die Grundsätze der Aufklärung und der Vernunft in den Köpfen der Menschen zu verankern. Darin sah er eine Strategie gegen Gewalt und Verrohung.

Auch Bauer spielt in „Maria Stuart“ mit den Möglichkeiten der Ästhetik. Die innovative Klassiker-Interpretin, die mit ihrer Inszenierung „Tartuffe oder das Schwein der Weisen“ am Theater Basel auch zum diesjährigen Theatertreffen nach Berlin eingeladen war, legt die Gefangenschaft beider Königinnen in der Gesellschaft offen. Englands mächtige Elisabeth ist eigentlich eine gebrochene Frau, die vergeblich nach Liebe giert. Die katholische Schottin Maria wiederum ist in einem überdimensionierten Rock aus Metallstäben eingesperrt. Sie ist nur vermeintlich Siegerin im erregten Rededuell. Mit starker Symbolik spielt Bühnenbildnerin Patricia Talacko. Andreas Auerbachs schrille Kostüme zitieren die höfische Mode des elisabethanischen Zeitalters. Auch die charakteristische Perücke von Elisabeth I. findet sich in der opulenten Bilderwelt wieder.

In Rosa- und Türkistönen wirken die Schauspieler wie Gruselclowns. Doch schafft das Ensemble den großartigen Spagat, auch die Verzweiflung der beiden Herrscherinnen in Körperbilder zu fassen, die tief berühren. Das liegt nicht zuletzt an Bauers starkem Videokonzept. Verräterische Blicke und Gesten in der Bühnengarderobe fängt sie sensibel ein. Diese Tiefe macht den Reiz von Bauers Regiestil aus.

Mit deutschen und internationalen Gastspielen ist das Mannheimer Schiller-Festival, das im zweijährigen Turnus stattfindet, die bedeutendste Werkschau des Klassikers, dessen Erstlingsdrama „Die Räuber“ im Januar 1782 in Mannheim uraufgeführt wurde. Christian Holtzhauer hat nun einen Bogen zu Autoren der Gegenwart geschlagen. Gemeinsam mit ihnen gab er ein Buch mit kurzen Texten heraus, die Schillers kulturphilosophische Briefe auf dem Hintergrund heutiger Zeiterfahrung reflektieren. „Immer noch Barbaren? Neue Briefe ‚Über die ästhetische Erziehung des Menschen’, inspiriert von Friedrich Schiller“ heißt das Buch, das im Wunderhorn Verlag erschienen ist (154 Seiten, 20 Euro).

Der vielstimmige Band öffnet spannungsvolle Horizonte: In einem Eisenbahnzug spürt der Dramatiker Wolfram Lotz die Barbaren der heutigen Tage auf. In seiner Farce töten betrunkene Teilnehmer einer Sauftour kaltblütig einen Menschen. Und die anderen sehen einfach zu. Eine deutsch-georgische Theaterproduktion reflektiert Nino Haratischwili. Die erfolgreiche Romanautorin und Regisseurin denkt in ihrem Brief darüber nach, wie wichtig es ist, Gegensätze zwischen Kulturen zuzulassen.

Internationale Perspektive

Die internationale Perspektive kam beim Festival mit einer ungewöhnlichen Produktion zum Tragen. Mit „Odisseia“ zeigte die brasilianische Theatergruppe Cia Hiato in der zum Kulturraum umgebauten Trinitatiskirche in der Mannheimer Innenstadt eine großartige Performance, die Homers „Odyssee“ aus der Perspektive jener Figuren liest, die sonst nicht zu Wort kommen. Da ist etwa Telemach, der Sohn des Odysseus, der ohne Vater aufwachsen musste. Diese Geschichten spiegelt die international erfolgreiche Gruppe mit Regisseur Leonardo Moreira in den Schicksalen von Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen. Mit ihrem expressiven Schauspielstil rissen die temperamentvollen Akteure das Publikum mit, brachten die Besucher zum Tanzen. In den Pausen des viereinhalbstündigen Spektakels gab es Zuckerrohrschnaps und Suppe. Doch das Happening stand nicht im Fokus des fesselnden Abends. Moreira und sein mitreißendes Ensemble verführten die Zuschauer, sich auf die seelischen Tiefenschichten der antiken wie der gegenwärtigen Figuren einzulassen.

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