Foto: Björn Klein - Björn Klein

Eine Bühne vor der Bühne: Der Künstler Tobias Rehberger baut vor dem Schauspielhaus eine begehbare Installation und lässt die Bürger über Stadtplanung nachdenken.

StuttgartAn Löchern ist Stuttgart reich. Auch in der Kunst hat man damit zu schaffen: Budgetlöcher, Sprachlöcher in Form von Texthängern, Löcher in den Zuschauerreihen, Löcher, durch die es in sanierungsbedürftige Opernhäuser regnet. Nun gibt es noch ein Loch – direkt neben dem Staatstheater.

Der 1966 in Esslingen geborene, international bekannte Künstler Tobias Rehberger schafft es, dieses Loch in die Luft zu bauen. Und das Loch kann von den Menschen begangen werden. Der Intendant des Staatsschauspiels, Burkhard C. Kosminski sagt, er freue sich ganz besonders über diese Arbeit: „Weil sie unseren Begriff von Kunst und Theater erweitert. Die Probegrube steht eben nicht im Museum, sondern mitten im Herzen von Stuttgart, und sie kostet auch keinen Eintritt.“ Auch wenn die Grube die ursprüngliche Form des Theaters zitiert – das Amphitheater ist letztlich eine Grube mit Sitzreihen: Ein Bühnenprogramm im klassischen Sinne wird es nicht geben. Kosminski: „Die Probegrube ist eine Einladung an die Stadtgesellschaft, sich mit der größten gedanklichen Freiheit damit auseinanderzusetzen, wie wir in Zukunft in unseren Städten und Stadtvierteln zusammenleben wollen. An diesem Diskurs kann und soll sich jeder und jede beteiligten.“

Poetischste Inszenierung der Saison

So wie es aussieht – die Theatersaison ist ja noch nicht vorüber – , wird dies eine, wenn nicht die poetischste Inszenierung der Saison. Denn bei der nach Luftigkeit klingenden Premiere „Wolken.Heim“ von Elfriede Jelinek am 24. Mai dürfte es schwerer zugehen – das Werk handelt von Fremdenfeindlichkeit. Tobias Rehbergers Projekt schreibt sich eher in die aktuelle Debatte um Fragen nach der Stadtgestaltung ein und in den Dauerstreit um das Bauprojekt Stuttgart 21. Will aber, wie jede gute Kunst, nicht eindeutig Partei ergreifen, sondern den Status Quo befragen.

„Das Stuttgarter Rosensteinquartier“, sagte Tobias Rehberger, „ist wahrscheinlich eines der letzten großen innerstädtischen Bauvorhaben in den nächsten 100 Jahren.“ Darüber nachzudenken, habe ihn gereizt. Wie man aus Erfahrung weiß, entwickelt sich ein Projekt in Wirklichkeit selten so, wie es auf dem Reißbrett entworfen wurde. Rehberger: „Warum also nicht gleich das Unfunktionale mitdenken?“

Das nicht Funktionierende mitdenken mussten auch die Theaterleute: Die begehbare Gruben-Installation sollte zum Auftakt von Burkhard C. Kosminskis Intendanz gezeigt werden. Das war eine gute Idee, da die Saison erst im November begann – die Bühnentechnik im Schauspielhaus musste erneut nachgebessert werden. Doch die Realisierung der Grube gestaltete sich aufwendiger als gedacht, so wurde nichts aus dem Spiel vor dem Theaterstart. Jetzt ist alles genehmigt und nimmt Gestalt an. Wer in diesen Tagen am Theater vorbei geht, sieht die Absperrbänder vor der Schlossgarten-Wiese und Handwerker das Plateau errichten, ein Schild klärt auf: „Hier wird an der Probegrube von Tobias Rehberger gebaut“.

Sechs Gerüstbauer, acht Schreiner, zwei Sprayer und vier Schreiner und Dekorateure sind mit dem Bau, dem Inneneinbau und der Überarbeitung der Grafik beschäftigt. Im Inneren ist die Grube mit einem farblich irritierend grellen Plan bezogen, der ein utopisches Rosensteinviertel zeichnet. Oder um es mit Tobias Rehberger zu sagen: „Es werden Unmöglichkeiten hergestellt, Dinge, Räume, Topografien, die sich überlagern.“ Ein Fußballfeld etwa trifft auf eine Reihenhaussiedlung. Was ergibt sich aus diesem Wechselspiel von Ordnung und Chaos, die sinnlich erfahrbar werden sollen? Im besten Fall ein produktives Missverständnis. Das ist auch bei der Idee zur Luftgrube nicht anders gewesen. Denn die Entscheidung, die Grube in die Höhe auf ein Gerüst zu bauen, wurde auch davon beeinflusst, dass hier unter der Wiese vor dem Theater nicht nur Erde liegt, sondern auch Leitungen und Rohre verlaufen. Aber reale Hindernisse beflügeln die Kunst.

An diesem Donnerstag um 19 Uhr findet die Eröffnung im oberen Foyer des Schauspielhauses statt, vis à vis der „Probegrube. New Landscapes show up in the unlikeliest Places“ (so der vollständige Titel). Geöffnet ist die Grube bis zum 4. Juli täglich von 10 bis 20 Uhr.