Knallbuntes Labyrinth ohne Ausgang: Tobias Rehbergers „Probegrube“ in Stuttgart. Foto: Björn Klein - Björn Klein

Man muss hinaufgehen, um in jene Tiefen zu kommen, die nur Spaß machen können, aber auch irritieren und provozieren. Lustvoll präsentiert sich Tobias Rehbergers Projekt „Probegrube“ auf der Wiese vor dem Stuttgarter Schauspielhaus – ein längst überfälliges Echo der Kunst auf den Fetisch Stadtraum.

StuttgartMan muss hinaufgehen, um in jene Tiefen zu kommen, die nur Spaß machen können, aber auch irritieren und provozieren. Lustvoll präsentiert sich Tobias Rehbergers „Probegrube“ – ein längst überfälliges Echo der Kunst auf den Fetisch Stadtraum.

Eigenwillig stehen sie sich gegenüber, das Opernhaus und das Schauspielhaus der Staatstheater Stuttgart. Ein Ganzes, das doch ganz aus seinen Teilen lebt. Ein Hybrid, der sich im Kunstgebäude auf der anderen Seite des Eckensees spiegelt. Auch dort der Schein des Ganzen. Jahrzehnte ist es her, dass Kunst diesen Raum neu markierte, ihn überhaupt zu einem Raum, zu einem Ganzen machte – 1988 mit den Skulpturen des US-amerikanischen Bildhauers Mark di Suvero zu dessen Retrospektive im Württembergischen Kunstverein.

Und nun? Ist vor dem Stuttgarter Schauspielhaus ein Ufo gelandet: ein vier Meter hohes Tortenstück mit Seitenlängen von je 25 Metern. Eine Treppe ist ausgefahren. Schon das ruft Bilder auf – vom erwartbaren Zugang zur Freilichtbühne über die Gangway, die nur scheinbar in ein offenbar überdimensioniertes Verkehrsmittel führt, bis hin zum Zugang zu einer irgendwie deplatzierten Aussichtsplattform.

Das Ufo ist eine Skulptur, ist eine begehbare Skulptur, ist ein Projekt des in Esslingen geborenen und in Frankfurt und Berlin lebenden und arbeitenden Objekt- und Installationskünstlers Tobias Rehberger. 2009 Gewinner des Goldenen Löwen der Biennale Venedig, zählt Rehberger, seit 2001 Professor der Städelschule in Frankfurt, zu den international wichtigsten Gegenwartskünstlern.

Meister der Verwandlung

Kein Museum, keine Galerie, kein Unternehmen hat Rehberger eingeladen, mitten in Stuttgart zu „landen“. Burkhard C. Kosminski, seit 2018 Intendant des Schauspiels Stuttgart, ist der Gastgeber. Noch in seiner Zeit als Intendant in Mannheim nimmt Kosminski Kontakt auf – der Wechsel nach Stuttgart wird zum Impuls: Kunst als Fingerzeig des Neustarts. Programmatisch denn auch der Titel: „Probegrube“.

Das Schauspiel vor dem Schauspiel aber findet 2018 nicht statt. Kosminski startet ohne Rehberger. Nun aber steht die „Probegrube“, wartet die begehbare Skulptur auf Besucher, hat Stuttgart eine Attraktion im besten Sinn.

Tobias Rehberger ist ein Meister der Verwandlung. Räume überhaupt erst als solche erlebbar zu machen, ist ein wichtiges Thema seines Werks. Was also sehen wir vor dem Schauspielhaus Stuttgart? „Im Prinzip“, sagt Rehberger, „ist es eine gebaute Grube, ein Modell von Stadtraum. Außen ist diese Grube mit einer Leinwand bespannt, auf die Bilder vom Innenleben der großen Baugrube am Hauptbahnhof gedruckt sind. Es ist sozusagen eine umgestülpte Grube: Die Wände, das, was normalerweise innen ist, ist jetzt außen zu sehen. Und die Welt außerhalb der Grube ist nun die Grube. Der vier Meter hohe Grubenrand ist begehbar. Von dort aus kann man auch in die Grube, in dieses Modell von Stadtraum, heruntersteigen.“ Hinauf also, hinein also. Rehbergers Stadtraum ist nicht irgendeiner, ist nicht irgendwo. Rehbergers Stadtraum ist in Stuttgart. Es ist das im Rahmen des Verkehrs- und Infrastrukturprojektes Stuttgart 21 entstehende künftige Rosensteinquartier. „Im Maßstab eins zu 62“, sagt Tobias Rehberger – und lacht.

Ein neues, ein stadtgroßes Quartier in der Stadt? „In den nächsten 100 Jahren wird es das wohl in Deutschland nicht mehr geben“, sagt Rehberger. Für den Künstler Rehberger hat diese Idee nicht weniger „utopisches Potenzial“ als das Baufeld für Christoph Ingenhovens Hauptbahnhof-Projekt in seiner aktuellen (Schein-)Leere. Wie das? Rehberger zielt auf das Unklare, auf das Dazwischen, auf jene Momente, die zu erhoffen, aber nie planbar sind. Fragt, ob sich Brüche nicht doch mitdenken ließen.

Würfel, Hochrechtecke, Ebenen und scharf eingeschnittene Täler: Der Blick in das Innere der „Probegrube“ zeigt ein Labyrinth, dessen enge Gassen jedoch auch bei schärfsten Blicken keinen Durchgang bieten. Es sei denn, man steigt über die Geländer, die sich selbst zu einer Figuration verbinden. Was aber dann? Jeder Schritt ist ein Schritt zwischen Grün, Reihenhaus, Dienstleistungs-Mall, Sportplatz, Schule und vielem mehr. Das eine ist ohne das andere nicht denkbar, alles überlagert sich – und summiert sich zuletzt zu einem knallbunten Feuerwerk des Rehberger-Alphabets. Farbbahnen als Nervenbahnen der Stadt wie seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Will man da hinein? Unbedingt!

Tobias Rehbergers „Probegrube“ ist eine begehbare Skulptur, ist ein theatralischer Ort mit eigener Dynamik. Blass fast erscheint das Schauspielhaus, eine Trutzburg. Tänzelnd leicht dagegen auf der anderen Seite das Hotel am Schlossgarten. Beides verlässt man im Inneren der „Probegrube“. Man gerät mitten ins Bild, ist noch im bloßen Sitzen Akteur. Offizielle Aufführungen darf es hier nicht geben. Man muss dies nicht bedauern, es ist eigentlich nur folgerichtig. Die „Probegrube“ ist ein Ort, kein Bühnenbild. Und sie ist ein Versprechen – auf die Tobias-Rehberger-Schau 2021 im Kunstmuseum Stuttgart.