Klassische Musik wird spannend durch neue Zusammenhänge, findet Thomas Wördehoff. Foto: factum/Weise - factum/Weise

Klassische Musik wird spannend durch neue Zusammenhänge, findet Thomas Wördehoff. Mit seinen Konzertprogrammen hat er die Schlossfestspiele in Ludwigsburg revolutioniert.

LudwigsburgEr gehört zu den Kerzenmenschen: also den leicht entflammbaren Typen, die sich nur lebendig fühlen, wenn ein Feuer in ihnen ist. Und er denkt gerne mal andersherum. „Das interessiert mich unglaublich“: So beginnen, so enden viele Sätze von Thomas Wördehoff, und mit seinem brennenden Grundinteresse am Neudenken eines Klassik-Festivals hat er den glanzpolierten, aber konventionellen Klassik-Konzertreigen bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen in ein Festival der Überraschungen verwandelt. Oder, wenn man’s andersherum sehen wollte: Er hat Handgranaten hineingeschleudert in die aus seiner Sicht gähnlangweilige Frontalpräsentation der klassischen Konzert-Liturgie aus Ouvertüre, Solokonzert und Sinfonie.

Ob während der zehn Amtsjahre dieses Intendanten mal jemand im Konzertsaal einschlief, ist nicht überliefert, aber tatsächlich ist es kaum vorstellbar. Bekannt ist allerdings, dass die Politik nicht immer derselben Ansicht war wie der Mann, den man geholt hatte, um im Schloss alles anders zu machen. Als Thomas Wördehoff genau dies tat, warf man seinen Festspielen mangelnde Strahlkraft vor. Und als sich der Erfolg langsam einstellte, machte man das Festspielorchester, das der Intendant erst gerne abgeschafft hätte, dann ohne Chefdirigenten behalten wollte, zum Streitobjekt.

Zeit für einen „Cut“

Mittlerweile hat Wördehoff mit der verweigerten Verlängerung seiner Amtszeit um ein weiteres Jahr seinen Frieden gemacht. „Nach zehn Jahren“, räumt er heute ein, „rastet die Fantasie ein wenig ein.“ Es sei gut, jetzt mal einen „Cut“ zu machen, „um Dinge neu zu überdenken.“ In Sachen Orchester gibt es ebenfalls keine Meinungsverschiedenheiten mehr, weil der Intendant mit Pietari Inkinen einen, wie er findet, „Orchesterpädagogen“ gewählt hat, „der das Orchester, das im Jahr nur fünf Mal zusammen ist, zu Höchstleistungen bewegen kann“.

Wobei Wördehoff das Grundproblem des Klangkörpers durchaus wahrnimmt. Deshalb hat er sich unter anderem darum bemüht, mit der neu gegründeten Würth-Philharmonie zusammenzukommen, „damit ein Stamm von Musikern 20 Mal unter Strom musiziert – von mir aus weiter unter dem Namen Würth-Philharmonie, die dann Hausorchester der Schlossfestspiele wäre.“ Eine charmante Idee; ihre Umsetzung indes misslang, und es ist dann doch noch ein Rest von Groll zu spüren, wenn er von Politikern „eine Haltung“ erwartet, wenn er fordert, die öffentliche Hand müsse sich „entweder zu dem teuren Orchester bekennen oder sagen, wir schaffen es ab“. Außerdem „sollte die Politik manchmal auch fähig sein, Dinge zusammenzudenken“. Über die strukturelle Unterfinanzierung der Festspiele, deren Förderung seit 16 Jahren nicht erhöht wurde, sagt er, könne, nein, müsse man eigentlich auch noch reden, über das Luxusdampfer-Image der Kultur. Dabei gehe es hier doch gar nicht um Luxus. Sondern um Sinnhaftigkeit. Um tiefe Erfahrung. Um Bewusstsein. All diese Begriffe gebraucht Wördehoff besonders gerne, wenn es um seine speziellen Programme geht, in denen sich Kunst- und Volksmusik, Webern und Blues, Altes und Neues, große und kleine Besetzungen begegnen. In Ludwigsburg, sagt er, sei in den letzten Jahren „eine wahrnehmbare Gruppe von Menschen“ auf ihn zugekommen und habe gesagt: „Was Sie uns da gezeigt haben, hat uns geöffnet und unseren Geschmack verändert.“

Darauf ist der Intendant richtig stolz, auch weil er mit der Gegend um Ludwigsburg zunächst große Probleme hatte – eine „zerklüftete Region, in der es ganz viele unterschiedliche kulturelle Entitäten gibt“. Am Anfang habe er das nicht gesehen, „da habe ich gedacht, ich schnalle die Gegend hier nicht“. Ja, da habe es auch eine Arroganz bei ihm gegeben, aber zum Glück habe er die nach und nach abgelegt. Und eine Sprache gefunden, die das Publikum der Schlossfestspiele versteht.

Neue Musik als Schmuggelware

Was nicht gelungen ist? „Der unmittelbare Kontakt mit Musik der letzten 50 Jahre.“ Er habe, so Thomas Wördehoff, so viel zeitgenössische Musik auf die Programme gesetzt wie keiner seiner Vorgänger. Aber am Ende habe er nur dort das Publikum für Neues begeistern können, wo er es nicht angekündigt habe: als Schmuggelware. „Es gibt“, stellt der Intendant fest, „hier eine starke Handelstradition: Wenn ich einen Daimler oder Porsche kaufe, dann weiß ich genau, was ich für mein Geld bekomme. Viele übertragen das auf die Kultur, dabei geht es da nicht um Wert und Gegenwert.“ Ein Beispiel: Nach der Uraufführung von Helmut Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ in Hamburg war Wördehoff, damals noch Journalist, einer der nur zwei Kritiker, die das Stück gnadenlos verrissen. Mit den Jahren sei ihm allerdings immer stärker bewusst geworden, dass dies ein Irrtum war, und „das ist für mich der eigentliche Wert von Musik: dass sie nicht nur in dem Moment da ist, in dem sie aufgeführt wird, sondern sich in einem verändert.“ Man müsse halt nur neugierig sein.

Oder in eine Werkeinführung gehen? Nein, Thomas Wördehoff glaubt nicht an pädagogische Maßnahmen. „Musik“, sagt er, „braucht keine Vermittlung, sondern Zusammenhänge. Ich glaube an Kontexte, und ich glaube auch, dass wir bei diesen Kontexten viel wagen müssen.“ Konzentrationsübungen vor Konzerten wie bei Marina Abramovic? „Ein Riesen-Missverständnis“. Education? „Ich halte das für eine komplette Lüge. Ich glaube, dass man auch Kinder über das Geschichtenerzählen zur Kunst bringt, nicht über salbadernde Wohlfühl-Begleitveranstaltungen.“ Und überhaupt: „Wenn ich das Wort Education höre, kriege ich Haarausfall!“ Der Anblick des Intendanten verrät’s: Der Arme muss das böse Wort schon ziemlich oft vernommen haben.