Stephan Kimmig inszeniert im Stuttgarter Opernhaus Hans Werner Henzes „Prinz von Homburg“. Quelle: Unbekannt

An diesem Sonntag findet im Stuttgarter Opernhaus die Premiere des Musikdramas nach Kleist statt. Für den Regisseur ist Henzes Werk eine „sensationelle Erweiterung“ des Schauspiels.

StuttgartAls sich Heinrich von Kleist zusammen mit der krebskranken Henriette Vogel 1811 eine Kugel in den Kopf schoss, war er 34 Jahre alt und zermürbt vom Unverständnis seiner Zeitgenossen. „Prinz Friedrich von Homburg“, sein letztes, kurz vor seinem Tod beendetes Schauspiel, war verboten worden. Der Dichter war pleite, ausgelaugt vom Unglück.

Stephan Kimmig ist zu Hause in Kleists komplexem Werk. Der Regisseur, der zuletzt 2017 im Stuttgarter Schauspielhaus Goethes „Faust“ mit Elfriede Jelineks „Faust In & Out“ verbunden hat, arbeitet jetzt an Hans Werner Henzes Vertonung von Kleists Schauspiel über den träumerischen Prinzen, der bei einer Lagebesprechung vor einer wichtigen Schlacht nicht zuhört, im entscheidenden Moment eigenmächtig auf die Feinde zuprescht, siegt – und sich damit beinahe um Kopf und Kragen bringt.

Das Libretto für Henzes Oper schrieb Ingeborg Bachmann nach Kleists Drama, ein Stoff voller Subtexte und historisch-politischer Bezüge, die man unweigerlich mit auf die Bühne schleppt. Entsprechend müde, aber dennoch sichtlich angeregt kommt Kimmig von der Probe und lässt sich auf ein zierliches Sofa im Foyer der Stuttgarter Oper fallen. „Henzes Werk finde ich sensationell, es erweitert das Schauspiel in relevante Bereiche hinein“, sagt der in Stuttgart geborene und aufgewachsene Kimmig. Geholt hat ihn der neue Opernintendant Viktor Schoner, den er von München kennt, wo der Theaterregisseur 2009 mit Mozarts „Don Giovanni“ sein Operndebüt gab.

Henzes Werk bietet die Möglichkeit, Kleists Stück aus ungewohnten Perspektiven zu betrachten. Ein schwieriger Text, der nicht zuletzt von den Nazis instrumentalisiert wurde. Und während sich Bertolt Brecht schwertat, das Stück zu rehabilitieren, lobte Ingeborg Bachmann 1960 in ihrem Aufsatz „Mut zu Kleist“ die darin enthaltene „Klarheit und Helligkeit“. „Bachmann schreibt das Drama teilweise komplett um“, sagt Kimmig. Der Kurfürst, der den Prinzen aufgrund seines Ungehorsams zum Tod verurteilt, sei in der Oper „eine völlig neue Figur; ein Ideal-Boss, den wir uns alle nur erträumen können. Er sagt zum Prinzen: Wenn du mich kritisierst in dem, was ich tue, bist du super. Anstatt ‚Kriegszucht und Gehorsam‘ heißt es bei Bachmann dann eben ‚Freiheit und Würde‘.“

Kimmig spricht von den Härten, die sowohl Kleists als auch Henzes und Bachmanns Lebenswege aufweisen. „Die Sehnsucht, nicht funktionieren zu müssen und nicht von außen bestimmt zu sein, verbindet Kleist extrem mit Bachmann. Auch die Anziehung der Schwärze und des Abgrunds – Tod als Lebenskonzept!“ Henzes Auswanderung von Deutschland nach Italien versteht Kimmig als Flucht vor der Enge im Nachkriegsdeutschland und vorm Schatten des 1945 gestorbenen Nazi-Vaters, der über seinen homosexuellen Sohn gesagt haben soll, dass „so etwas wie er in ein KZ“ gehöre.

Während bei Kleist mit dem Schlusssatz „In Staub mit allen Feinden Brandenburgs“ ein militaristischer Ton nicht zu überhören ist, steht das Finale in der Oper für etwas anderes: „Hier bedeutet es: Alle, die kein diverses, offenes, freies Deutschland wollen, wollen wir hier nicht haben“, sagt Kimmig. Den militärischen Motiven im Stück setze Henze seine Musik entgegen.

Dass er hier mit Sängern und einem Orchester im Graben arbeitet, sei etwas ganz anderes als mit Schauspielern, erklärt der Regisseur: „Ein Schauspieler muss Gefühle immer hochpumpen. Dann hat er mal schlecht geschlafen oder keine Lust. Bei solchen persönlichen Dingen sackt plötzlich alles weg. Bei Sängern ist das nicht so: Die Struktur steht ja.“ Ob es in Zukunft weitere Operninszenierungen von Kimmig geben wird? „Ich denke schon“, sagt er und strahlt übers ganze Gesicht.

Die Premiere beginnt an diesem Sonntag um 18 Uhr im Stuttgarter Opernhaus. Es gibt noch Karten. Weitere Vorstellungen: 20., 22. und 29. März. 6. April, 4. Mai.