Von Martin Mezger

Stuttgart - Der römische Komponist Arcangelo Corelli war im späten 17. Jahrhundert ein rarer musikalischer Monokulturalist: Er schrieb ausschließlich Instrumentalwerke in Streicherbesetzung, und seinen einmal gefundenen Stil feilte er zu einer Perfektion aus, die bereits zu Lebzeiten und in den folgenden 100 Jahren als Ideal galt. Zumindest zeigen die überlieferten Werke und deren Rezeption dieses ehrwürdig-gipsköpfige Bild eines hehren Klassikers - verbunden mit dem obligatorischen Langweiler-Verdacht. Ihn widerlegt sofort Corellis Musik, die bei allem Ebenmaß vor Temperament pulsiert, mit expressiver Harmonik balanciert, ihr glitzerndes Streicher-Idiom zu den Altären unfehlbarer Schönheit erhebt. Erst recht wenn sie so agil, so feinsinnig, so federnd elastisch gespielt wird wie vom Freiburger Barockorchester, das im Stuttgarter Mozartsaal sieben der zwölf Concerti grossi aus des Meisters Opus 6 interpretierte. Besonderer Clou des Konzerts war indes, was nicht in den Partituren steht: Die Ermittler musikhistorischer Spurensicherungsdienste haben in Corellis Monokulturfurchen Klangfarbensamen ohne Notenfrüchte entdeckt. Konkret: Die Fahndung in historischen Honorarlisten ergab, dass bei den von Corelli selbst geleiteten Aufführungen gelegentlich auch Trompeter und Posaunisten mitwirkten. Nur: Was und wo die genau gespielt haben, ist namentlich im Fall der originalen Naturtrompeten mit ihrem begrenzten Tonvorrat äußerst ungewiss. Die Freiburger wagten gleichwohl das Experiment und verpassten zwei der Concerti die „aufgeblasene“ XXL-Besetzung. Im eingangs gespielten D-Dur-Werk haute das noch nicht so richtig hin. Wenn das spekulative Tätärätää etwa eine lapidare Kadenzpassage stählt, wirkt das eher lächerlich. Überzeugender schon die geschmetterten Fugeneinsätze, grandios schließlich die rasanten Fanfaren im siebten Concerto, wo die exzellenten Trompeter Jaroslav Rouček und Hannes Rux ihre fulminante Virtuosität zeigen konnten. Problematischer der Einsatz eines Oboen-Fagott-Trios, der allenfalls für Corellis letzte Lebensjahre Originalklang-Ansprüche erheben könnte. Vorher waren diese aus Frankreich stammenden Instrumente in Italien nicht eingeführt. Einigermaßen plausibel wirkten die Holzbläser nur im dritten Concerto mit seinen französischen Stilmerkmalen.

Die in Streicherbesetzung gespielten Werke bewiesen allerdings, dass ihnen auch ohne Bläser nichts fehlt an harmonisch-figurativer Farbwirkung. Mit hör- und sichtbarer Lust stürzten sich die Violinsolisten Petra Müllejans und Gottfried von der Goltz ins flitzende Passagenwerk - und ins wilde Gesäbel am Ende des vierten Concertos. Das Orchester folgte solch pointierender Verve mit prickelndem Brio und geschmeidigem Klangsinn, die im sechsten und zweiten Concerto (im Programmheft vertauscht aufgeführt) tiefen Ernst und tänzerischen Elan zu famoser Eintracht verbanden.