Bietet den 600 Fans im Wizemann ein schnörkelloses Elektro-Pop-Rock-Konzert: Melanie C. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiss

Stuttgart -Mit den Spice Girls schrieb sie in den Neunzigerjahren Musikgeschichte, weil das Quintett Girl-Power zu einer Mainstream-Sache gemacht hat. Für viele ist Melanie C noch immer „Sporty Spice“, die mit den Turnschuhen und Trainingshosen. Wohlgefühlt in dieser Rolle hat sie sich nie. Melanie Chisholm fühlte sich klein und verwundbar, sie wurde gemobbt und litt zudem unter Depressionen und Essstörungen. „Ich wurde“, sagt sie rückblickend, „als ziemlich pampig, großmäulig und aggressiv porträtiert - aber das war ich nie.“

Wenn man die in der Nähe von Liverpool geborene, mittlerweile im Londoner Nobelviertel Hampstead lebende Britin im Stuttgarter Wizemann auf der Bühne stehen sieht, dann glaubt man ihr. In ihren Ansagen gibt sie sich zurückhaltend, nicht aufgesetzt, nur beim Tanzen präsentiert sie sich forsch exzentrisch. In ihrem schwarzen Kleid sieht sie umwerfend aus, die Figur ist triathlongestählt, aber die 43-Jährige ist längst kein überlebensgroßer Popstar mehr, was man alleine an der Besucherzahl ablesen kann.

Nachdenken über das Leben

Gerade mal 600 Fans haben sich um sie versammelt, überwiegend getreue, überwiegend männliche Gefolgsleute. Solche, die ihren musikalischen Weg seit 2001, seit der Trennung der Spice Girls, mitgegangen sind. In Stuttgart, der Endstation ihrer kurzen Deutschlandtournee, stellt sie mitsamt einer vierköpfigen Band ihr bereits siebtes Solo-Album „Version of me“ vor. Darauf sinniert sie über die Hochs und Tiefs ihrer Beziehungen, die Veränderungen in ihrem Leben, auch als Working Mom. Wie im Song „Dear Life“. Das nachdenkliche Stück ist quasi ein Brief an das Leben und stellt die Frage, was das Leben für sie - noch - bereithält.

Den Song hat sie genauso in ein modernes Elektro-Gewand gepackt wie all die anderen neuen Stücke. Wie den Dance-Song „Anymore“, mit dem sie das Konzert eröffnet. Wie „Ecalator“, „Room for Love“ oder „Something for the Fire“. Doch genau darin liegt auch das Problem. Die Dancepop-Stücke im Stile von Triphop-Bands wie Massive Attack, Portishead oder dem angesagten R‘n‘B-Sänger The Weeknd klingen seicht und ohne Drive. Die unterkühlten Klangwelten aus dem Synthesizer ersticken aufkeimende Gefühlsregungen im Ansatz. Ohrwürmer fehlen gänzlich. Das ist gelinde gesagt ziemlich blöd, weil das neue Album fast das gesamte, nur 85 Minuten dauernde Konzert ausmacht.

Deshalb geht das Neues-Wagen-Konzept - wie schon auf dem Album - auch live nicht auf. Da mögen die Beats noch so sehr pulsieren, die Synthies schweben, der Bass grummeln und die E-Gitarre mal mehr, mal weniger glänzen: In der bloßen Aneinanderreihung wirken die Songs beliebig, stellenweise geradezu langweilig.

Dramaturgische Spannungsbögen? Fehlanzeige. Hätte sie doch nur auf einige Stücke wie „Unravelling“, „Numb“ oder „Blame“ verzichtet, die sich im Synthie-Bombast verlieren, und stattdessen mehr von ihren wahren Hits gespielt. Denn rockige Lieder wie „Northern Star“ und „Never be the same again“, die sie wie beiläufig dazwischen schiebt und die die Stimmung schlagartig heben, sind Nostalgie-Garanten und Radio-Klassiker schlechthin. Mit solchen Songs mauserte sich Melanie C schließlich rein musikalisch zum erfolgreichsten Spice Girl auf Solopfaden.

Markante Stimme

Was lange Zeit bleibt, ist nicht mehr als ein solides, schnörkelloses Elektro-Pop-Rock-Konzert. Der schönste neue Song ist noch „Hold on“, den Melanie C wie schon auf Platte mit ihrem jungen Landsmann Alex Francis, ihrem Support-Act, zelebriert, als erste Zugabe. Ansonsten bietet der Auftritt keinerlei Show-Aspekte, keinen Glamour, immerhin sind die variable Lightshow und der Sound für Clubverhältnisse ordentlich. Fast keine Kritik gibt es auch an Mels markanter Stimme. Beeindruckend changiert die Britin zwischen laut und eindringlich sowie leise und verletzlich. Einzig bei der Coverversion von „Human“ zeigt sie Stimmband-Schwächen. Mit ihrer Interpretation reißt sie dem Original des britischen Blues- und Soulsängers Rag‘n‘Bone Man fast die Seele raus.

Erst gegen Ende kommt das Konzert in Fahrt. Spät, aber nicht zu spät. „First Day of my Life“, ihr größter Solo-Hit, und der einzige Spice Girl-Song des Abends „Say you‘ll be there“ läuten ein versöhnliches Finale ein. Melanie C singt die alten Chartbreaker ungemein kraftvoll, jetzt ist das Zuhören die reinste Freude, und auch das nun ausgelassene Publikum singt begeistert mit. „Think about it“, der knalligste Song des Abends, sowie „I turn to you“ spart sie sich für die letzten Zugaben auf. Hier verstören die ebenfalls eingeflochtenen elektronischen Elemente glücklicherweise weniger als bei den neuen Stücken. Auf überragende Hits wie „Next Best Superstar“ oder auch „When you‘re gone“, das Bryan Adams einst mit ihr duettierte, warten die Fans allerdings vergeblich.

Letztlich ist das Konzert im Stuttgarter Wizemann kein Kopfstand, kein Salto Mortale, auch wenn Melanie C die Dancing Queen gibt, am Ende sogar energiegeladen-sportlich wie ein Springball umher hüpft. Sporty Spice halt. Es ist ein Konzert für Nostalgiker und Fans, nicht mehr. Spannender, zeitgenössischer Pop wird woanders gemacht. Zur Girl-Power des 21. Jahrhunderts, zu Adele, Beyoncé, Katy Perry oder Rihanna wird Melanie C. so schnell nicht aufschließen.