Alle mal tief durchatmen im schwäbischen Cyber Valley. Foto: Julian Marbach - Julian Marbach

Schorsch Kamerun gibt sich mal wieder die Ehre und taucht das Publikum ein in Klang- und Textwolken. Ein Gewusel, ein Getrete. Und das Projekt hat einen Untertitel: „ Shakespeares Zauberwald als psychodelisches Maschinenklangländle“.

StuttgartGroßes Gewusel: Publikum und Theaterensemble mischen sich, stehen sich manchmal im Weg, treten sich gar auf die Füße. Eingezirkelt von belebten Schaukästen-Mauern wird es für manchen eng im Stuttgarter Kammertheater, das für diesen Abend verwandelt wurde in eine Mischung aus Museum, Irrgarten und Mini-Arena. Darin kann man herumlaufen oder herumsitzen. Schorsch Kamerun taucht das Publikum ein in Klang- und Textwolken, die vor allem von seinem expressiven Sprechgesang auf eigene lustig-locker-flockige Texte getragen und scheppernd von E-Sounds, Bass und Geige begleitet werden.

Sie werden mit allerlei anderem collagiert: Etwa mit Interview-Fetzen, die in einem der Glaskästen produziert werden, zum Beispiel zu den Vorteilen zweisprachigen Aufwachsens. Immer wieder gibt’s auch O-Töne etwa von Winfried Kretschmann: zur schwäbischen Zukunft in Sachen Digitalisierung. Manchmal wird’s poetisch, dann säuseln einem Shakespeare-Verse um die Ohren. Denn schließlich hat das Projekt ja auch einen Namen: „Ein Sommernachtstraum im Cyber Valley. Shakespeares Zauberwald als psychodelisches Maschinenklangländle“. Wie der Titel schon zeigt, textet Kamerun gerne und am Fließband: „Grün angemalt, schwer abwaschbar / Unsere Marschrichtung, unbeirrbar digital / No way greifbar, immer erreichbar / Der Kampf geht weiter, Börsengang noch in diesem Jahr“. Und so geht es weiter und immer weiter.

Inspiriert von der Fluxus-Bewegung der 1960er-Jahre, der globalen, multimedialen Aktionskunst, die sich als musikalisches Happening gegen die bürgerlich-elitäre Repräsentationskunst richtete, verwandelt Schorsch Kamerun die ihm zur Verfügung stehenden Theaterräume gerne in begehbare Konzertinstallationen. Fürs Staatstheater Stuttgart macht er das nun schon zum dritten Mal. Eine teure Spielwiese für einen Kreativen, denkt man. An diesem Abend kreuzt er Sommernachtstraum-Poesie mit Assoziiertem zum Thema Cyber Valley, dem seit 2016 bestehenden baden-württembergischen Forschungsverbund für künstliche Intelligenz, mit dem sich die Schwaben den Anschluss an die zukünftige industrielle Revolution erhoffen. Durch Efeu-Netze erblickt man im Schaukasten einen Büroraum mit vorsintflutlichen Computern.

Kaum ein Satz bleibt in Erinnerung

Oben hängen Bildschirme, auf denen sich ständig das Treiben im Haus und außerhalb widerspiegelt. Drei blasse Androiden in weißen Uniformen sprechen im Chor, mal hinter Glas, mal auf der Galerie. Es geht um Heimat, Hightech, Highspeed, um Wachstumswahn und Menschmaschinen. Ein etwas verloren herumirrender Roboter auf Rollen wird kontrastiert durch eine gelangweilt wirkende dicke Rote Beete auf zwei Beinen. Vielleicht will Kamerun ja damit auf die Gegensätze im Ländle aufmerksam machen – etwa von Hochtechnisierung und Bioproduktion. Gruppen von Menschen in spacigen Outfits oder folkloristischer Kleidung bewegen sich choreographisch.

Kamerun ist der Strippenzieher, agiert mal am Mikro in der Band, die in einem der Schaukästen hockt, mal gibt er den Abendspielleiter, mal ist er Leuchtenhalter, der den Guru 4.0 (Karl-Friedrich Dürr) illuminiert, der in weißer Kutte und mit ebensolchem Hut Lieder aus Schuberts „Winterreise“ massakriert. Kamerun hat ein 80-köpfiges Ensemble zu koordinieren. Da ist er in seinem Element. Mehrere Institutionen sind an der Produktion beteiligt, darunter die Stuttgarter Universität, die Hochschule für Darstellende Kunst und jene für Medien, die Professional Dance Academy und die Waldorfschule Kräherwald. Zwischendurch gibt’s auch mal eine Spielszene aus dem „Sommernachtstraum“ und am Ende einen Ausschnitt aus Max Reinhardts gleichnamiger Hollywood-Verfilmung von 1935 – synchronisiert mit albernen Texten: Da schwäbelt Puck etwas vom iPhone 6, von Laktoseintoleranz und Platin-Schmerz.

Ist das Stück vorbei, atmet man einmal tief durch – und kann sich an kaum einen Satz mehr erinnern. Und hat das Gefühl, dass man das alles schon einmal gesehen hat, unter anderem Thema freilich: 2016 im Nord, „Das glaubst du ja wohl selber nicht!“ hieß der Abend mit Schorsch Kamerun. Es ging um die Beat-Generation.

Die nächsten Vorstellungen: 1., 2., 3., 8., 9., 12., 16. und 17. März.