Dem Himmel entgegen: Alicia Amatriain und Friedemann Vogel im dritten Satz von John Crankos „Initialen R.B.M.E.“ Foto: Stuttgarter Ballett Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Ein Abend fast ohne Ausstattung, nur Trikots und ein paar Flatterkleidchen in Pastellfarben, zwei Stunden reiner Tanz und reines Glück. Ballettchef Reid Anderson hat sich die beiden Werke zum Abschied gewünscht, beide sind Hymnen auf die Freundschaft - einmal mit einer kleinen Träne zurückschauend auf die unbeschwerte Jugend, einmal strahlend in die Zukunft blickend: wie passend am Ende einer 22-jährigen Intendanz.

Jerome Robbins kreierte „Dances at a Gathering“ 1969 mitten in der Zeit des Vietnamkriegs, als Eskapismus oder vielleicht auch folkloristischen Vorgänger der Hippie-Träume vom Weltfrieden. Das Stück braucht zehn kluge, feine Tänzer, keine Virtuosen. Vielleicht kennen nur die etwas erwachseneren Interpreten jene Leichtigkeit, mit der man lächelnd auf vergangene Zeiten zurückblickt - Jason Reilly, Friedemann Vogel, auch die junge, aber so instinktiv tanzende Elisa Badenes. Wie in kaum einem anderen neoklassischen Ballett gilt es hier, alle Gedanken an die Technik zu vergessen, sich ganz zu verlieren in den hingetupften Walzern und unbeschwerten Mazurkas von Chopin. In der wichtigen Rolles des Mannes in Braun aber schaltet Adhonay Soares da Silva das Lächeln ein und wieder aus, denkt sichtbar an die nächsten Schritte und weiß nicht, mit welch tiefer Empfindung er am Schluss die Hand auf den Boden legen sollte. Wie hätten das wohl Constantine Allen oder Pablo von Sternenfels gemacht, die die Kompanie vergangenes Jahr verlassen haben? Eine müßige Frage, das brasilianische Drehwunder ist der neue Posterboy und noch sehr jung, vielleicht stellt sich die nötige Ausdruckskraft für einen echten Stuttgarter Tänzer noch irgendwann ein.

Durch den anspruchsvollen ersten Satz von „Initialen R.B.M.E.“ fliegt Soares da Silva dann aber so mühelos wie kaum ein Interpret bei den letzten Wiederaufnahmen des Stücks. Wie lange ist es her, dass noch eine(r) der Titelnamen in John Crankos „Initialen R.B.M.E“ mitgetanzt hat, 30 Jahre oder länger? Viele Zuschauer haben Richard Cragun, Birgit Keil, Marcia Haydée und Egon Madsen nicht mehr in den ihnen gewidmeten Sätzen gesehen und können Crankos strahlendes Ballett zum zweiten Klavierkonzert von Brahms ganz sorgenfrei ohne den Vergleich zum Original genießen, der fast immer negativ ausfallen muss. Keine Ballerina hat heute mehr Arme wie die Haydée, der dritte Satz war einmal ein trauriger Gesang, und das Corps de ballet trug die Damen in weiten Wellen statt mit Hauruck herein. Großartig, souverän und elegant sah dafür das Solistensextett des zweiten Satzes aus, angeführt von Elisa Badenes. Moacir de Oliveira sprang virtuos durch den letzten Satz, nicht ganz mit der dänischen Akkuratesse, die hier an Madsens Landsmann Auguste Bournonville erinnert, aber mit Übermut und tollen Grand Jetés. Vielleicht darf man einfach nicht zu stark zurückblicken, sonst erweist sich dieser schöne, zuversichtliche Ballettabend unversehens als erinnerungsschwer.

Weitere Aufführungen: 17., 20., 21. Januar; 10., 11., 16., 17. Februar. Am 20./21. Januar gastiert Daniel Camargo in „Initialen R.B.M.E.“