Rachephantasien eines Horrorclowns: ein Bild aus Christian Jankowskis Video- und Fotoprojekt „Angels of Revenge“. Foto: Städt . Galerien Esslingen Quelle: Unbekannt

Von Martin Mezger

Esslingen - Der Berliner Künstler Sven Johne hat was zu erzählen: Zirkusgeschichten, eine bleibende Kindheitserinnerung, seit er damals Clowns, Akrobaten und Dressuren bestaunte. In seiner Videoarbeit „The Greatest Show on Earth“ und seinem Fotozyklus „Following the Circus“ umreißt Johne die eigene Erinnerung als erzählte Abwesenheit. Im Video kündet ein Schauspieler wortreich und professionell emphatisch von Zirkusattraktion, die man nicht sieht, und er spricht in die Dunkelheit eines Raums, wo kein zuhörendes Publikum auszumachen ist. In der Fotoserie nahm der Künstler Orte in Ostdeutschland auf, an welchen der Wanderzirkus seiner Jugend jüngst gastierte: nichts als Flecken im Gras hinterlassend, vor Supermärkten, Lagerhallen oder auch in Feld-Wald-Wiesen-Idyllen.

Großes Thema

Johnes Arbeiten stehen exemplarisch für den Ansatz der Ausstellung „Stories in Your Mind“ im Obergeschoss der Esslinger Villa Merkel (unten findet - wie berichtet - zeitgleich die Schau mit frühen Gemälden des Aktionskünstlers Allan Kaprow statt). Der Titel in obligatorischem Kunstszenen-Englisch meint: Geschichten spielen in der Vorstellung, ihr Schauplatz ist das Gehirn. Mit Arbeiten von sechs Künstlern knüpft die kleine, aber feine Ausstellung an das große Thema des Erzählerischen in der Kunst an, das von Textillustrationen über Historienschinken und mythisch-religiöse Sujets bis zur den Ursprüngen bildenden Kunstschaffens zurückreicht. Nur kehren die Geschichten - nach dem vor knapp 40 Jahren von François Lyotard ausgerufenen Scheitern der großen, verbindlichen, Sinn und Legitimität stiftenden Erzählungen - verändert in die Postmoderne zurück: fragmentiert, imaginiert, lückenhaft, unabgeschlossen, sich selbst auslöschend. Letzteres etwa in Katrina Palmers Schrift-Bild „Now Stone Landscape“ von einem Totengräber, der über geologische Schichten nachdenkt, die er bei seiner Arbeit durchdringt. Die Schrift gräbt jedoch der Geschichte, die sie erzählt, das eigene Grab. Wie unter geophysischem Druck werden die Lettern in vierfacher Wiederholung der Textpassage immer mehr ineinandergeschoben, schließlich zur Unlesbarkeit komprimiert, als wären sie selbst zur Erdschicht geworden. In der Installation „The Fabricator‘s Tale“ wiederum lässt Palmer durch einen Bretterspalt in einen auffällig unauffälligen Raum blicken, der durch die Anmutung von Spurensicherung als Tatort erscheint, die sichtbare Tat aber ausspart: Sie findet in der Imagination des Betrachters statt.

Ent- und verschlüsselt zugleich

Ent- und Verschlüsselung sind in „Hidden Poems“ von Natalie Czech gewissermaßen identisch: Sie markierte in Zeitungsartikeln und Illustrierten einzelne Worte und Buchstaben, die zusammen längst publizierte Gedichte moderner Autoren ergeben. Ob nun die Lyrik das journalistische Wirklichkeitsreferat entschlüsselt oder umgekehrt, bleibt offen. Jonas Dahlbergs Video „Three Rooms“ erzählt von Vergänglichkeit: Während der halbstündigen Spieldauer schmelzen die Wachsmöbel in den Räumen ins Nichts - Auslöschung als Erzählhandlung, auch hier. Und abermals erzählte Imagination, affektiv zugespitzt: Christian Jankowski lässt in seinem Video- und Fotoprojekt „Angels of Revenge“ (Racheengel) Teilnehmer eines Kostümwettbewerbs Vergeltungsphantasien nach zwischenmenschlichen Kränkungen vortragen: Horrorclownerien von „Ich beiß’ dich“ (droht ein Kind) über heftige Gewalt bis zu schierer Weisheit („Ein besseres Leben ist die beste Rache“, sagt ein Verlassener, an seine Ex adressiert).

Und weil die großen Erzählungen vielleicht nur noch der Extremsport und der Kapitalismus schreiben, bringt Maximilian Schmoetzer in einer Videoarbeit beides zusammen: den von Red Bull gesponserten Stratosphärensprung anno 2012 des Österreichers Felix Baumgartner, der als erster im freien Fall die Schallgeschwindigkeit überschritt, und das kommerzielle Marken-Branding, alles verbunden durch die trivialmythische Ikone eines Dinosauriers. Im Jurassic Park der bewegten Bilder, welche die gemalte Historie ablösten, berühren sich fossile Vor- und animationstechnische Nachgeschichte. Erzählung verknüpft Relikt und Virtualität. Was mit dieser bemerkenswerten Ausstellung zu beweisen war.

Bis 28. Mai. Öffnungszeiten: dienstags von 11 bis 20 Uhr, mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Führungen beginnen dienstags um 18 Uhr und sonntags um 15 Uhr.