Mit einer gigantischen Zirkusshow setzte Pink die Arena förmlich in Brand. Foto: Lichtgut/Oliver Willikonsky - Lichtgut/Oliver Willikonsky

Perfekter Gesang, Streetstyle-Tanz und riskante Stunts: Pinks Stuttgarter Auftritt markiert eine neue Show-Dimension – mit unerschöpflicher Energie, Glitzer-, Licht- und Feuereffekten.

StuttgartStuttgart hat schon viele große, fantastische, beeindruckende Konzerte gesehen. Aber Pink-Konzerte sind noch größer, noch fantastischer, noch beeindruckender als die meisten – und unter den weiblichen Live-Künstlern ist Pink mehr denn je mit Abstand die bombastischste. Sie ist, wie die Amerikaner sagen, ein „Big Deal“, obwohl sie auf die 40 zusteuert, ist sie in der Blüte ihrer Karriere. Sie ist stark, furchtlos, schön und spektakulär. Und ihr Konzert in der Mercedes-Benz-Arena ist teilweise jenseits aller wildesten Vorstellungskraft!

Schon das kühne Opening des Spektakels ist mitreißend. Knall auf Fall taucht sie ein in „Get the Party started“ – wobei es ausschaut, als ob die Party schon längst im Gange ist. Im schwarzen Paillettenanzug schaukelt sie über der Bühne an einem pink-weißen, funkensprühenden Kronleuchter, derweil unter ihr ein geschmeidiges Tanzensemble bis zum finalen Mini-Feuerwerk wirbelt. Alecia Beth Moore alias Pink verliert keine Zeit. Sie ist eine Frau in Flammen und wer glaubt, sie hätte wie ein schlechter Hollywood-Regisseur das vermeintliche Finale bereits in der Exposition vorweggenommen, irrt gewaltig. Die Zirkus-Akrobatikeinlage ist nur ein hochschnellender Kavalierstart mit durchdrehenden Rädern, auf den eine noch fulminantere, zweistündige Show folgt.

Pinks Konzert ist eine Vermischung von perfektem Gesang, interpretativem Streetstyle-Tanz und riskanten Stunts. Ihre Energie ist unerbittlich, ihr Auftreten unnachgiebig. Hier wechselnde, wunderschöne Outfits und Glitter, dort furios-aufregende Feuer- und Lichteffekte. Pink gleicht einem vergessenen Mitglied des Cirque du Soleil.

Auch beim zweiten Stück, der Ballade „Beautiful Trauma“ passt sie die Produktion dem musikalischen Thema an. Jeder Kulissenwechsel ist makellos choreografiert – schmelzende, rosa Laternenpfosten bei „Who knew“, mystisch-nebeligen Waldszenen bei „Try“ und hitzigen Flammensäulen im Stile Rammsteins bei „Just like Fire“. Zu „Secrets“ zelebriert sie ein beeindruckendes Pas de Deux an Gummiseilen. Ihre Athletik, ihr Körpereinsatz und ihr gleichzeitiger kraftvoller Gesang sind imponierend.

Die Setliste ist eine wunderbare Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart. Alte Kracher wie „Just like a Pill“ und „Just give me a Reason“ wechseln sich ab mit dem rhythmischen „Hustle“ oder dem mit US-Songwriter Stephen Wrabel performten „90 Days“ vom aktuellen Album „Hurts 2B Human“, die beide allerdings gegenüber den Klassikern etwas abfallen. Lebhaft geht Pink auf die Fans zu und ein – auf einem Laufband, das einem Flughafen-Fahrsteig ähnelt. Sie schreibt auf Fan-Tattoos und sammelt Geschenke ein , einen Marienkäfer-Rucksack, ein T-Shirt Größe XXS für Töchterchen Willow. Vor „Raise your Glass“ gibt sie der achtjährigen Willow eine Lehrstunde in Selbstachtung und absurden Schönheitsidealen. Pink war schon immer Feministin. Sie kann, wie bei „What about us“, im einen Moment das schüchterne Nachbarschaftsmädchen sein und im anderen Moment eine Diva ganz in Weiß, die mit „For now“ eine ganze Arena in ein Meer aus wogenden Händen verwandelt.

Wer Pink schon seit ihren pink-haarigen Zeiten kennt, freut sich an punkigen Songs wie „Funhouse“, das sie mit „Just a Girl“ von Gwen Stefani und No Doubt veredelt. Weiteren weiblichen Frontfrauen huldigt sie: Bishop Briggs mit deren Hit „River“, den sie selbst gerne geschrieben hätte, und Cindy Lauper mit einer überragenden unplugged-Version von „Time after Time“.

Sie und ihr vorzüglicher Gitarrist Justin Derrico allein bringen am auskragenden Catwalk die Arena zum Singen. Der sich anschließende Hit „Walk me home“ betört und unterbricht die Bombast-Prahlerei zugunsten einer wohltuenden Intimität. In diesen geerdeten Momenten fragt man sich: Wäre es nicht schön, wenn sie mal eine Tour machen würde, auf der sie nichts anderes tut, als ihre exquisite und kraftvolle Stimme zur Schau zu stellen? Wie bei der letzten Zugabe „Glitter in the Air“, das mit seiner Melodieverzauberung glückselig macht.

Aber dann reiht die Grammysiegerin weitere aufsehenerregende Schaustücke aneinander und man kommt zum Schluss: nein, alles bestens. Mit einer Killerversion von „Fuckin’ Perfect“, der von Herzen kommenden Ode an das Selbstwertgefühl, „Blow me (One last kiss)“ und „Can we pretend“ fährt sie größtes Geschütz auf. Sie flutet die Arena mit emotionalen Reizen aus elektrisierenden Licht-, Pyro-, Sound- und Videoeffekten. Die Arena strahlt pink, golden, spektralfarben. Und die Kraft dieser majestätischen Rockhymnen reißt jeden mit. Pink setzt das Stadion förmlich in Brand.

Als ob dies alles noch immer nicht genug ist, verwandelt sich Pink bei der vorletzten Nummer „So what“ in eine menschliche Kanonenkugel. Sie fliegt, in einen Gurt geschnallt, an einem Seilsystem bis ans Ende der Arena und zurück. Der atemberaubende Flug im rotglitzernden Catsuit ist der Höhepunkt einer extravaganten Show – und wohl der Albtraum eines jeden Lebensversicherers. Dass sie trotz dieser ungemein kraftraubenden Anstrengung live singt, macht die Künstlerin und ihre Kunst so einzigartig.

Wer ihr dabei zuschaut weiß: Pink hat während ihres Fluges mehr Spaß als 43 000 staunende Fans. Als es vorbei ist, will man mehr. Noch mehr. Noch mehr.