Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Wäre das Akkordeon schon im Barock erfunden gewesen, hätte Bach sicherlich dafür komponiert. Denn er liebte alles, was Tasten hatte. Umgekehrt ist unter heutigen klassisch ausgebildeten Akkordeon-Virtuosen Bach sehr beliebt. Und so spielte auch die lettische Akkordeonistin Ksenija Sidorova mit den Stuttgarter Philharmonikern im Beethovensaal die Bearbeitung eines seiner Werke: des Klavierkonzerts d-Moll BWV 1052, das ursprünglich wohl ein Violinkonzert gewesen ist. Das rasende Laufwerk und die Arpeggien der schnellen Außensätze setzte Sidorova auf ihrem Instrument wunderbar leicht um, einfühlsam gestalteten die Philharmoniker überraschende Klangeffekte wie ein plötzliches Pianissimo, in dem das Akkordeon mit der Oboe duettierte oder mit den Bratschen. Ganz neue Bach-Farben hörte man da. Weniger überzeugend klang das Adagio. Sidorova hatte ein sehr helles, kaltes Register gewählt. Da klang das Akkordeon kurz wie eine zu klein geratene Orgel.

Die Zuschauerreihen waren voll gefüllt. Die Idee der Philharmoniker, das in klassischen Konzerten noch immer stiefmütterlich behandelte Instrument in den Mittelpunkt zu stellen, hatte gezogen. Die explosionsartige Farbentfaltung ihres Instruments in drei Tangos von Astor Piazzolla machte dann hörbar, dass sich Sidorova in diesem Stil doch wohler fühlt. Ihr Zugriff wurde freier, voller, deftiger. Die akkordeontypischen weitgespannten Phrasen konnten sich in „Libertango“ und „Oblivion“ besser entfalten: grandios wuselnde Läufe, herzergreifender Gesang, befeuert von den Philharmonikern, die den Tangorhythmus freilich nicht ganz so zackig spielten wie die lettische Akkordeonistin.

Emotionaler Aufruhr

In Sachen emotionaler Aufruhr stand das Orchester der Solistin aber in nichts nach. Dafür sorgte Jan Willem de Vriend am Dirigierpult, der in „Adios Nonino“ mit ausladender Gestik gar bombastische Klangwolken einforderte. In ihren beiden Solo-Zugaben - Vladimir Zubitskys „Omaggio ad Astor Piazzolla“ und Sergej Voitenkos „Revelation“ - zeigte Sidorova, dass das Akkordeon ein Orchester gar nicht braucht. Denn solo kommen seine ganz besonderen Klangfarben noch besser zur Geltung. Großer Jubel für ein tolles Programm, das dann noch durch Jugendwerke Schuberts und Mendelssohns ergänzt wurde.

In Franz Schuberts Italienischer Ouvertüre D-Dur setzte der niederländische Dirigent ganz auf jugendlichen Sturm und Drang. Noch mehr Feuer entfachte er in Felix Mendelssohn Bartholdys erster Sinfonie. Die schnellen Sätze standen unter Hochdruck, brachten Beethoven’sche Dramatik und Energie ins Spiel. Immer höher hüpfte de Vriend, immer wilder wehten die Haare, bis sich in der Schlussstretta noch einmal sämtliche angestaute Energie entlud. Bravo!