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Der Ex-Motörhead-Gitarrist erfindet den Rock’n’Roll nicht neu, hält aber das Tempo hoch auf den Heavy-Metal- und Hardrock-Highways.

StuttgartRock’n’Roll-Ur-Gestein Lemmy Kilmister ist vor etwas mehr als drei Jahren gestorben – und damit auch seine Band Motörhead. Doch das Leben der beiden Bandkumpels Phil Campbell (Gitarre) und Drummer Mikkey Dee geht weiter. Letzterer trommelt inzwischen bei den Scorpions, Campbell marschiert solo. Seine neue Heavy-Metal-Truppe nennt sich „Phil Campbell and the Bastard Sons“ – und das mit den Söhnen stimmt gleich in dreifacher Hinsicht. Phils Hintermannschaft besteht tatsächlich aus echten Campbells, und zwar Todd (Gitarre), Dane (Drums) und Tyla (Bass). Dazu kommt Frontmann Neil Starr, der beim nachgeholten Gastspiel im ausverkauften Stuttgarter Club Cann natürlich besonders kritisch beäugt wird. Denn unweigerlich wird der ehemalige „Attack! Attack!“-Sänger stimmlich mit Lemmy verglichen. Aber so wie mit Lemmy wird es leider nie wieder sein. Immerhin: Auch wenn ihm dessen whiskygetränkte Reibeisenstimme fehlt, hat der energiegeladene Waliser doch eine ziemliche Röhre. Sein Organ ist scharf und schmutzig, und auch als Einheizer und Headbanger macht der Lockenkopf eine gute Figur.

Im Mittelpunkt aber steht der 57-jährige Phil „Wizzö“ Campbell, der Inbegriff des coolen Rockstars. Relaxt steht er auf der linken Seite der Bühne, wohlwissend um das Privileg, nur noch zum Spaß und nicht des Geldes wegen zu spielen. Vertieft in seine formidable Gitarrenarbeit überlässt er bis auf ganz wenige Ausnahmen Starr das Rampenlicht. Aber dass er sich vor und mit seinen Söhnen keine stilistische und technische Blöße gibt, ist Ehrensache. So rockt die spielfreudige Truppe souverän innerhalb der bekannten Koordinaten zwischen schnörkellosem, hemdsärmeligem Heavy Metal und schweißtreibendem Hardrock: pur, laut und voller Energie. Dabei klingen sie mal wie eine metallisch aufgepumpte Version von Deep Purple, mal wie Motörhead in der polierten Neo-Soft-Variante.

„Big Mouth“ geht zur Eröffnung schon sehr gut ins Ohr. Der nach vorne strebende Song, der von der ersten EP stammt, hat wenig Mühe, das Publikum für sich zu gewinnen. Leider poltert der Sound bereits da ziemlich dumpf aus den Boxen, so dass Starrs Gesang im Bassgrummeln kaum hörbar ist. Ab dann gibt es nichts weiter als rohe, schwere Rockmusik. „Step into the Fire“ und das Oldschool-Metalstück „Freakshow“ stammen wie fünf weitere Titel vom Debütalbum „The Age of Absurdity“. Das rasante „Ringleader“ stellt dabei ein straight-rotziges Highlight dar. Auf Dauer klingen die neuen Titel, anders als auf CD, jedoch relativ eintönig, gehen nicht wirklich unter die Haut. Nur einmal gönnt man sich eine Verschnaufpause. Das düstere „Dark Days“ ist eine ruhigere und unspektakuläre Blues-Nummer.

Natürlich steht der Abend auch im Zeichen von Motörhead und muss auch als liebevolle Hommage an Lemmy gesehen werden. Acht der 17 Titel sind Motörhead-Songs, und bei Klassikern wie „Rock Out“, „Born to Raise Hell“ oder „R.A.M.O.N.E.S“, die mit viel Geschwindigkeit und musikalischer Gewalt gespielt werden, kommen die teilweise in Motörhead-Kluft erschienenen Fans so richtig in Fahrt. Geschichte ist hier die Energie, die von Lemmy 1975 losgetreten wurde. Der Siedepunkt wird natürlich bei der Hymne „Ace Of Spades“ erreicht, die wie die anderen Motörhead-Titel um Klassen besser ist als alle „Age of Absurdity“-Ergüsse. Ein billiger Motörhead-Klon sind Campbell und seine Bastard Sons dennoch nicht, dazu besitzen sie zu viel Eigenständigkeit. Vor „Ace of Spades“ widmete die Truppe explizit Lemmy Kilmister den Hawkwind-Klassiker „Silver Machine“. Mit dem Stück schob sich Lemmy 1972, damals noch Bassist bei jener britischen Space Rock-Band, erstmals in den Gesangsvordergrund. Das Lied, laut und stolz vorgetragen, klingt in Campbells Version frisch wie am ersten Tag.

Mit den Motörhead-Stücken „Bomber“, dem an diesem Abend herausragenden „Coz you got the Power“, „Going to Brazil“ und „Rock´n´Roll“, die das Tempo allesamt bis zum Ende hochhielten, fand ein solides, knackiges Konzert seinen Ausgang. 75 Minuten sind etwas zu kurz, und das Set erfüllt nicht alle Erwartungen. Andererseits pumpt die eingängig spielende Band so heavy und kraftraubend Rock’n’Roll, dass weniger vielleicht mehr ist. Das Mehr ist nichts Neues, nichts Bahnbrechendes, keine neue Rad-Erfindung, aber genug, um einen schönen und kurzweiligen Rock’n’Roll-Abend zu verbringen. Lemmy hätte sicherlich seine Freude daran.