Brüder im Jazz-Geist: Rolf (links) und Joachim Kühn. Foto: Opus/Frank Eppler - Opus/Frank Eppler

Zum Start der Jazz Open in Stuttgart erhalten die Brüder Rolf und Joachim Kühn die German Jazz-Trophy.

StuttgartBruderbeziehungen sind das Ergebnis einer großen Intimität, die nicht gewählt, sondern auferlegt wurde. Pointiert könnte man sagen, Bruderschaft sei eine chronische Liebeskrankheit mit Momenten geteilten Glücks, inniger Komplizenschaft, aber auch Rivalität und Eifersucht. Doch gibt es ein Mittel, das Wunden heilt: die Musik. Ihr verdankt es sich, dass jetzt zum Auftakt der Stuttgarter Jazz Open in der Spardawelt am Hauptbahnhof ein ganz besonderes Brüderpaar mit der German Jazz Trophy geehrt wurde: der Klarinettist Rolf Kühn und sein Bruder Joachim, ein Pianist. Beide eint die improvisierte Musik, der Jazz.

Tief beugt sich Joachim Kühn, der 74-jährige Wuschelkopf mit geschlossenen Augen und vorgewölbter Unterlippe, über die Tasten aus Elfenbein und Ebenholz, bewegt sein Haupt wie in Trance hin und her und beginnt derart virtuos zu spielen, dass man sogleich versteht, warum er auch „der Franz Liszt des Jazz“ genannt wird. Sein Credo: Man muss frei sein, um frei improvisieren zu können. Eine seiner Kompositionen heißt denn auch „One, Two, Free“. In seinen Improvisationen verbinden sich Cluster und Dissonanzen mit romantischen und impressionistischen Traditionen, die er rockend oder swingend in Bewegung setzt.

Im Zusammenspiel mit dem älteren Bruder, der so viele Jahre zählt wie mancher Flügel Tasten hat, nämlich 88, geht es stets um Kommunikation, um Empfangen und Senden. Rolf Kühn lädt die Ausflüge seines Bruders ins Freie mit Sehnsucht, Trauer, Hoffnung und Wut emotional auf. Die Klarinette lässt er scharf oder warm, weich gehaucht oder laut jubilierend klingen. Joachim, der die wilde Free-Jazz-Zeit als 68er in Paris erlebt hat, verzichtet dann auf Atonalitäten und versenkt sich in harmonische Schönheiten. Das Publikum erlebt ein außergewöhnliches Duo, das sein ganz eigenes Verständnis von europäischem Gegenwartsjazz feiert. Beide verachten das Mittelmaß und sind neugierig auf Unerhörtes.

Joachim Kühn wurde 1958 in der Leipziger Thomas-Kirche konfirmiert und hat dort vier Jahrzehnte später mit Christoph Biller, dem 16. Nachfolger von Johann Sebastian Bach als Thomaskantor, das Projekt „Bach Now“ realisiert. Als Baby hörte Joachim den großen Bruder Jazz auf der Klarinette spielen und später dessen Swing-Schallplatten. Rolf, der bei Hans Benninger studierte, dem Soloklarinettisten des Gewandhausorchesters Leipzig, übersiedelte nach Amerika, spielte im Orchester von Benny Goodman und in der Bigband von Tommy Dorsey. Zurück in Deutschland leitete er ab 1962 das NDR-Fernsehorchester, spielte als Solist bei den German All Stars mit Koryphäen wie Albert Mangelsdorff oder Wolfgang Dauner. Bis ins hohe Alter bleibt er aktiv, hat immer noch einen erstaunlich kraftvollen und frischen Ton. Die Devise der beiden Brüder lautet: Spielen bis zum Umfallen.Samstag

Innenhof des Alten Schlosses: Sängerin Juliana Blumenschein (18.50 Uhr), Trompeter Thomas Siffling (19.45 Uhr ), E-Bassist Stanley Clarke mit Band (21 Uhr). Spardawelt: Pianistin Younee (19.30 Uhr), Pianist Michael Wollny mit Trio (21.45 Uhr). Bix: Sänger Allan Harris (22 Uhr).

Sonntag

Spardawelt: Jazz für Kinder (11 Uhr). Musikpavillon auf dem Schlossplatz: Ipanema Beach Hotel (12 Uhr, Eintritt frei). Bix: Saxofonist Chico Freeman (21 Uhr).