Foto: Sabine Haymann - Sabine Haymann

Das Stuttgarter Renitenztheater begibt sich mit seinem neuen Hausprogramm auf eine kabarettistische Reise in den Untergang: brüllend komisch, aber nicht immer mit Tiefgang.

StuttgartDie Katastrophennachricht platzt mitten hinein in die Wiedereröffnungs-Feierlichkeiten des Stuttgarter Planetariums. Der Komet S 21 steuert, von Stickoxyden angezogen, direkt auf die Schwabenmetropole zu. Die City und der Speckgürtel werden vernichtet werden. Es bleiben 92 Tage, um die Bevölkerung zu evakuieren. Aus der bangen Frage „Wohin mit Stuttgart?“ hat der Kölner Autor und Kabarettist Thilo Seibel eine Geschichte entwickelt, die mit einem urkomischen Parforceritt durch wirtschaftliche, politische und moralische Missstände bestens unterhält. Das neue Hausprogramm hatte jetzt im Renitenz Theater Premiere.

Wer nicht weiß, was im Städtle schief läuft, kann sich hier in zwei Stunden mühelos updaten lassen und hat sogar noch was zu lachen: Parodie als Mittel zur Aufklärung. Und wer’s weiß, sieht sich bestätigt: Mauscheleien, Intrigen, Korruption, Lobbyismus und Medienmacht bestimmen das System. Doch es wäre nicht Kabarett, wenn das Ganze nicht auch ein Riesenspaß wäre. Thilo Seibel, der selbst auf der Bühne steht, hat die kuriosen Machenschaften um Feinstaub, Dieselfahrverbot, Stuttgart 21 und Klinikaffäre satirisch überspitzt. Regisseur Hans Holzbecher fügte die einzelnen Skandalnummern zu einer kenntnisreichen Blockbusterparodie zusammen – stellenweise brüllend komisch. Was passiert, wenn Schwaben zu Flüchtlingen werden, die in Baden kein Asylrecht bekommen? Wohin mit den redlichen Schaffern, wenn „d’r Daimler“ im „arschteuren“ Stuttgart keine Arbeitsplätze mehr bietet?

Das sind lebenswichtige Fragen, denen Viola Neumann, Claudia Dilay Hauf, Björn Christian Kuhn und Seibel vor einem Panorama mit Fernsehturm, Neuem Schloss und Rotenberg temporeich nachgehen. Für den Notfallplan schlüpfen sie in verschiedenen Rollen. An vorderster Front steht Rainer Fritzelmann, ambitionierter Büroleiter von OB Fritz Kuhn. Ihm zur Seite kämpft Aylin Gürüncü-Hämmerle, ihres Zeichens Spitzenastronomin, was weder mit Gastronomin noch mit Astrologin verwechselt werden sollte. Fritzelmann hat so seine Probleme mit Begrifflichkeiten: Aus Planetarium wird Krematorium – oder ist es doch eine Kita, die er einweiht? Spielt ja auch keine Rolle, wenn in wenigen Tagen eh alles futsch ist. Herausgefunden hat das übrigens ein berühmter Astronom, der vom „orangefarbenen Hohlkopf im Weißen Haus“ vergrault wurde. Aber auch er spricht nur im Twitter-Duktus. 280 Zeichen reichen, um den Horror zu umreißen.

Ein Einsatzleiter der Polizei versucht, mit einem irrsinnigen Sicherheitskonzept Struktur in den Untergang zu bringen. Zwei Lokalpolitiker kommen sich beim lustigen Speed-Dating näher. Günther Oettinger hält eine aufmunternde Ansprache aus dem fernen und sicheren Brüssel. Beim Stadtuntergang kann er aus Termingründen nicht dabei sein. Trump, Putin und Kuwait, „das Land, das mit dem Wölfle tanzt“, mischen mit. Vorzeige-Gutmensch Walter Sittler darf seine unerschütterliche Liebe zur Stadt erklären. Daimler-Chef Dieter Zetsche unterstreicht seine Aussage, es sei kein Naturgesetz, dass Daimler ewig bestehe. Und Renitenz-Intendant Sebastian Weingarten hat einen glamourösen Kurzauftritt.

Untergangsszenarien lassen Geschäftsideen sprießen: Nach der Apokalypse ist die nunmehr betauchbare Bahnhofsgrotte der Hotspot im „Swabian Paradise“. Kreative Ideen werden entwickelt, Vorteile erkannt. Die Stadt kann samt Konzerthaus und Interimsoper neu gestaltet werden, und wenn Zuffenhausen fehlt – Schwamm drüber. „Wirklich schön warst du nie“ singt das Ensemble aus voller Kehle. Die eigens komponierten Lieder und die umgetexteten Coverversionen sorgen für Stimmung. Andrew Zbik begleitet die Darsteller live am Schlagzeug. Es macht einfach Spaß Claudia Dilay Hauf bei der kraftvollen Interpretation von Tina Turners „Nutbush City Limits“ zuzuhören. Wenn Thilo Seibel in seiner Grönemeyer-Persiflage „Tief im Ländle“ röhrt, ist das genauso köstlich wie Falcos „Amadeus“, der bei Björn Christian Kuhn als „Armageddon, Armageddon“ rüberkommt.

Am Ende macht Ministerpräsident Winfried Kretschmann ein „Piccolöle“ auf, die Großkopfeten ziehen auf die Insel und vermarkten die Katastrophe ganz entspannt. Insgesamt gute Unterhaltung mit viel Input – auch wenn manches zwangsläufig an der Oberfläche bleibt.

Nächste Vorstellungen: an diesem Samstag (23. März) sowie 26. und 27. April.