Kniefall vor der Todfeindin: Alina Rank als Maria Stuart (vorne links) und Franziska Beyer als Königin Elisabeth, im Hintergrund (von links) Ulrike Barthruff, Andreas Klaue und Oliver Jaksch. Foto: Martin Sigmund - Martin Sigmund

Der neue Intendant Axel Preuß beginnt sein Engagement in Stuttgart mit Schillers "Maria Stuart". Gute Stimmung bei der Premiere im Alten Schauspielhaus.

StuttgartDie Stimmung im Stuttgarter Alten Schauspielhaus ist fröhlich aufgedreht. Gedrängel im engen Foyer: Axel Preuß, der neue Intendant, lässt sich gut gelaunt mit so manchem Ehrengast im Arm fotografieren. Friedrich Schillers „Maria Stuart“ ist als „programmatische Eröffnungspremiere“ angekündigt: Der größte Teil des Ensembles stellt sich erstmals dem Stuttgarter Publikum vor, wie auch das Regieteam, das künftig regelmäßig an diesem Ort inszenieren soll. Auch mit Schiller als „schwäbischem Hausautor“ wird weiter geplant.

Die Erwartung ist also groß, das Publikum muss sich zu Beginn des Stücks ein bisschen Mühe geben, seine sektbefeuerte, extrovertierte Fröhlichkeit wieder herunterzufahren. Schließlich ist „Maria Stuart“, uraufgeführt 1800, ein bedrückender Stoff. Ein starkes Stück, „dessen Aktualität“, so steht’s auch im Programmheft, ungebrochen ist. Zweifellos steckt dieses alte Königinnendrama auch noch unserer Zeit in den Knochen: dieses machterhaltende Lavieren der ersten Queen Elisabeth und ihrer Entourage, dieses Zaudern und Aufschieben, statt eine klare Haltung zu demonstrieren, dieses Abwarten und Tee trinken, bis einem das Wasser bis zum Halse steht, diese Furcht vor „Volkes Stimme“.

Unter Beobachtung

Und tatsächlich schaut man im Alten Schauspielhaus zunächst in unsere Zeit: auf eine Betonwand mit Beobachtungsfensterfront. Königin Elisabeth und ihre Günstlinge erscheinen dahinter und blicken ernst auf die Szene, wo bald die inhaftierte Maria im hübschen knallroten Kleid unruhig hin und her läuft wie ein gefangenes Tier. Elisabeth hatte es sich 19 Jahre zuvor ziemlich einfach gemacht: Hat ihre Cousine, die schottische Königin Maria Stuart, die sie um Asyl bat, einfach eingekerkert, aus Angst, ihren Thron an sie zu verlieren. Maria stellte berechtigte Ansprüche. Persönlich gesprochen hat die amtierende Herrscherin bis dato nicht mit ihr, ließ sie einfach in ihrem Gefängnis versauern, hielt sie im Unklaren darüber, was mit ihr geschehen soll. Elisabeth weiß es ja selbst nicht: Meuchelmord – oder Todesurteil? Aber da würde sie sich ja die Hände schmutzig machen.

Doch so bildstark und vielversprechend der Beginn ist, so sehr das einfach-raffinierte, drehbare Bühnenbild von Pia Maria Mackert zunächst Assoziationen an einen Todestrakt in Gang setzt, so unentschlossen geht es weiter. Mackerts formidable, schicke Kostüme verbinden Renaissance-Halskrausen und Pumphosen mit brokatstoffigen heutigen Joppen, mit Lackschuhen und Pumps. Und die Musik von Dirk Raulf, die öfters den Dialogen leise unterlegt wird, verfremdet barocke Klänge mit obertönigem Elektro-Sirren. Das alles ist gut gelungen, steht aber nur für sich allein, weil die Personenführung von Regisseur Martin Schulze in risikofreiem Stehtheater alter Schule steckenbleibt. Das führt vor allem im ersten Teil zu einer gewissen Ermüdung, aus der man immer wieder durch plötzliches ohrenbetäubendes Brüllen gerissen wird. Ansonsten: keine Übertreibung, keine knalligen Kontraste, kaum Ideen, die das Damals von 1587 mit dem Heute in Verbindung setzen könnten. Selbst dem Königinnengespräch im Zentrum des Stücks fehlt es an Spannung. Die beiden Darstellerinnen bleiben zu eindimensional: Alina Rank als Maria spielt textgemäß zunächst die berechnend Demütige, die dann aber doch vor Wut explodiert. Franziska Beyer als Elisabeth gibt die Arrogante, die am längeren Hebel sitzt und keine Empathie zeigen will. Emanzipiert ist ihre Elisabeth, keine Frage, aber die Machtbesessenheit nimmt man ihr so wenig ab wie die Amtsmüdigkeit, von der sie spricht. Sehr müde und recht profillos wirkt dagegen Robert Besta als Leicester, von dessen im Text verbürgter Liebe zu beiden Frauen nur jene zu Elisabeth erkennbar wird.

Martin Schulze lässt das auf zwölf Figuren reduzierte Darstellerpersonal zu einem düsteren Kammerspiel auf kalter, kahler Bühne zusammenkommen. Eine plausible Sichtweise, die aber die ungeheuer steifen Auf- und Abgänge nicht rechtfertigt. Und auch nicht, dass meist nur herumgestanden und einfach nur geguckt wird, sobald man nicht Schillers geschmeidige Blankverse spricht. Das betrifft vor allem Elisabeths zahlreiche Günstlinge, von denen es nur Gunnar Blume als Burleigh schafft, seiner Rolle ein präzises, auch körpersprachliches Profil zu verleihen: schön fies, dabei rational und berechnend. Die personifizierte Staatsräson. Ansonsten bleiben die männlichen Wesen so emotional und beweglich wie Schachfiguren. Außer Andreas Klaue, der empathisch Maria-Bewacher Paulet spielt. Und außer Mortimer, der in Maria verliebte, zu ihrer Rettung entschlossene Jüngling, den der charismatische Fabian Oehl mit großer Gestik und Drang zur Grenzüberschreitung zeigen darf. Sein Suizid geschieht dagegen eher nebenbei.

Vermutlich um Dynamik in den Abend zu bringen, dreht sich die Betonwand manchmal um sich selbst, angeschoben von den Darstellern, etwa von Maria, die damit offensichtlich ihrem Freiheitsdrang Luft macht. Besser genutzt wird die Wand aber, wenn sie steht: Durch die Scheiben sieht man nicht nur Elisabeth vorbeischleichen, die einen vorsichtigen Blick in den Kerker Marias wirft. Auch Maria beobachtet die Todfeindin. Oder sie stehen sich stumm gegenüber, schauen sich direkt in die Augen, durch die Fenster – die besten Augenblicke der Inszenierung, die auch für die Hinrichtung Marias eine kluge Theaterlösung gefunden hat: nur wahrnehmbar in einem lauten, metallischen Zischen, dem Fallen des Beiles.

Vorstellungen bis 20. Oktober.