Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Da ist es wieder: Das berühmte Streicher-Seufzen, mit dem das Lacrimosa des Mozart-Requiems beginnt. Aber schon nach der ersten großen Steigerung, die Kirchenkreiskantor Jörg-Hannes Hahn und sein Bachchor mit dramatischer Power gestalten, ist dieser Satz schon nicht mehr Mozart. Das Requiem gehört dennoch zu seinen populärsten Werken, obwohl es in großen Teilen gar nicht von ihm stammt. Mozarts letztes Werk blieb Fragment, im Autograph bricht das Lacrimosa nach dem achten Takt ab. Witwe Constanze musste, weil sie mit einem Haufen Schulden zurückgeblieben war, den Mozart-Schüler Franz Xaver Süßmayr mit der Fertigstellung beauftragen.

Aus der Not geboren, begann damit eine bis heute nicht enden wollende Komplettierungsgeschichte, an der Generationen von Tonsetzern und kompositorisch ambitionierten Musikwissenschaftlern beteiligt waren. Führt man Mozarts Totenmesse auf, hat man immer auch die Qual der Wahl unter den diversen Vervollständigungen. Hahn entschied sich, in der ausverkauften Cannstatter Lutherkirche Süßmayrs Version zur Aufführung zu bringen. Das ist durchaus sinnvoll, war der Schüler doch am nächsten am Meister dran - bei allen viel kritisierten Schwächen seiner Ergänzungen. Gleichwohl nimmt Süßmayr recht geschickt die Kontraste zwischen aufbrausender Theatralik und lyrischer Melodik auf, wie sie auch in den von Mozart selbst vollendeten Sätzen zum Ausdruck kommen.

Zupackende Energie, straffe Tempi

Unter Hahns zupackender Energiebündelung und straffer Tempogestaltung warf sich der Chor unter Befeuerung der nicht immer ganz präzisen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz in die koloraturenreiche Kyrie-Fuge, in die massigen Dies Irae-Rufe, in die mächtige Erhabenheit des Sanctus. Da hörte man die Flammen des Fegefeuers nachlodern. Zwar hat sich der formidable Laienchor mit seinen kernigen Sopranstimmen im oft vorwärtspreschenden Tempo gelegentlich ein bisschen verwuselt, auch wurden die mittleren Stimmlagen bisweilen vom Colla-Parte-Spiel des Orchesters übertüncht. All dies machte aber der erfrischende Ausdruckswillen wett. Die scharfen farblichen Kontraste, die nötige Theatralik kamen voll zur Entfaltung. Im Soloquartett fügten sich die Stimmen homogen zusammen, solistisch überzeugte vor allem Sopranistin Monika Eder mit leicht ansprechender Höhe und funkelndem Timbre.

Dem nicht abendfüllenden Requiem ging ein anderes letztes Werk voraus. „Stille und Umkehr“ von Bernd Alois Zimmermann, der 1970 den Freitod wählte: ein fahl-finsteres, resignierendes, in sich kreisendes Stück aus bluesigem Trommelraspeln, kurzatmigen Flötenmotiven, Bläsergrummeln, Streicherzupfen, Sägen-Singen - Klänge, die einen immergleichen Ton umspülen, der durch die Instrumente wandert. Atmosphärisch ein sehr passender moderner Kontrast zu Mozart, der in der Akustik der Lutherkirche klanglich ein wenig auseinanderfiel.