Mit Hawaiihemd und Baseballkappe: Sänger Mike Love. Foto: dpa Quelle: Unbekannt

Von Ingo Weiß

Stuttgart - Für eine Band, die für ihren überragenden Harmoniegesang, ihren vielstimmigen Chorsatz berühmt ist, sind die Beach Boys alles andere als ein Herz und eine Seele. Obwohl die Mitglieder mittlerweile Mitte 70 sind und eigentlich mit Altersweisheit gesegnet sein müssten, sind persönliche Rivalitäten und juristische Scharmützel noch immer an der Tagesordnung. Deshalb existieren zwei Live-Formationen des 1961 im kalifornischen Hawthorne gegründeten Quintetts, das als amerikanischer Gegenentwurf zu den Beatles gehandelt wurde. Die eine angeführt von den Mitbegründern Brian Wilson (74) und Al Jardine, die auf einer scheinbar unendlichen Welttournee das 50-jährige Jubiläum des elften Albums „Pet Sounds“ (1966) feiern. Die andere angeführt vom dritten noch lebenden Gründer Mike Love (76), Wilsons Cousin und streitbarer Gegner, sowie von Keyboarder Bruce Johnston (74), der 1965 zur Band gestoßen war, als Brian Wilson des Tourens überdrüssig war. Ihnen wurde das Recht zugesprochen, den Bandnamen zu führen. Und sie sind es, die nun in der Stuttgarter Liederhalle gastierten.

Das Alter der Protagonisten ist unübersehbar, das können sie auch nicht mit Hawaiihemden und obligatorischen Baseballkappen kaschieren. Insbesondere Love gibt den jovial-onkeligen Entertainer im Stile eines Golfrentners, allerdings zünden seine teils skurril-witzigen Ansagen nicht immer. Auch musikalisch treffen er und Johnston nicht mehr jeden Ton, ab und an muss die Technik gehörig einspringen. Aber als der langmähnige Schlagzeuger John Cowsill (61) mit wilder Technik lostrommelt und Erinnerungen wachruft an Mitbegründer Dennis Wilson, der 1983 verstarb, kann man der langsamen Verwandlung der alten Recken in die jungen Burschen, die sie in den 60er-Jahren waren, zusehen. Und das nicht ausschließlich auf der Videoleinwand im Bühnenhintergrund, auf der unzählige, teils einzigartige Zeitdokumente die Songs untermalen. Die Beach Boys spielen ungemein viel mit der Erinnerung an ihre großen Zeiten.

Nur die Sixties zählen

Und plötzlich zählen nur noch diese Sixties und diese keimfreien Lieder über Surfen, Autos und Twen-Liebe (in dieser Reihenfolge!), die zu unsterblichen Melodien gerieten. Allein die Bandbreite der famosen, auch stilistisch vielseitigen Stücke und die instrumentalen Fähigkeiten der sechsköpfigen, exzellenten Begleitband sind atemberaubend. Die Gitarristen Jeffrey Foskett und Scott Totten und deren Mitstreiter sind traumwandlerisch eingespielt und sie verstehen sich auf Satzgesang und Kopfstimmen so exzellent, dass sie den typischen Beach-Boys-Sound auch ohne Love und Johnston nahezu perfekt reproduzieren. Nur bei drei, vier Liedern kommt die jeweilige Originalstimme vom Computer, zugespielt als Video, wie es auch schon Queen bei ihrer „Bohemian Rhapsody“ umsetzten. 40 Songs, zweieinhalb Stunden und zwei Blöcke später - Motto: One Night all Hits - gleicht die Liederhalle etwas weniger einem in die Jahre gekommenen Nachkriegs-Kulturbau, dafür etwas mehr einem Strand-Abschnitt des berühmten Malibu-Beachs, einem der Top-Surfspots von Los Angeles.

Ein Tänzchen zum Abschied

„Surfin’ Safari“, „Catch a Wave“, „Little Honda“ und „Do it again“ spielen die Beach Boys gleich zu Beginn. Einfache, aber schmissige Surf-Songs aus den Anfangstagen, die wie eine auslaufende Brandung an einem rockig aufgekratzten Strand klingen. Aber erst mit „Surfin’ USA“ und „Dance Dance Dance“ kommen perfekte Wellen auf, bei Band wie beim Publikum. Nach der Pause gibt es den ersehnten Pet Sounds und das, obwohl Love das Album gehasst hat. Als „Sloop John B“ in „Wouldn’t it be nice“ übergeht, steht der ganze Saal. Am Ende geht alles rasant. Nach „Pisces Brothers“ treiben das Chuck-Berry-Cover „Rock and Roll Music“, „Help me, Rhonda“ und „Good Vibrations“ die Stimmung auf jenen Siedepunkt, den man sich von Beginn an gewünscht hat. Johnston und Love wagen bei der Zugabe „Barbara Ann“ sogar ein kleines Tänzchen an der Rampe. In Schongang-Variante, versteht sich.