Sommergäste 2019: Dagna Litzenberger Vinet (Julija Filippowna), Martin Schwab (Doppelpunkt). Foto: Salzburger Festspiele/Monik - Salzburger Festspiele/Monika Rittershaus

Zu textbetont und ohne emotionale Höhepunkte plätscherte Maxim Gorkis Drama „Sommergäste“ in der Inszenierung von Evgeny Titov bei den Salzburger Festspielen dahin.

SalzburgMenschen, die ihre Zeit mit drögen Parties und mit leerem Geplänkel totschlagen, sind die „Sommergäste“ in Evgeny Titovs Inszenierung von Maxim Gorkis Drama aus dem Jahr 1904. Die politische Tiefenschärfe, die aus den Beziehungskisten der geistigen Elite herauszulesen ist, verwischt der Regisseur im und dumpfem Techno-Gedröhn. Auch das Experiment, Gorkis starke Frauenfiguren stärker in den Blick zu nehmen, ist in der Produktion für die Salzburger Festspiele nur bedingt geglückt. Denn den Bildungsbürgern, die Titov auf die Bühne der ehemaligen Salzsudhalle in Hallein bringt, fehlt der Mut zur Verzweiflung.

Nur fünf Wochen Probenzeit hatte der 39-jährige Titov, der für die erkrankte Mateja Koleznik eingesprungen ist. Der an der Theaterakademie ausgebildete Schauspieler absolvierte den Regiestudiengang am Max-Reinhardt-Seminar in Wien. In den „Sommergästen“ gelingt es ihm jedoch trotz starker Ansätze nicht, die Tiefenschichten aus Gorkis Text ganz freizusetzen. Denn der Dramatiker, der 1905 an den Protesten im Vorfeld des Petersburger Blutsonntags beteiligt war und der wegen seines politischen Engagements für die Benachteiligten aus Russland fliehen musste, bringt in den Dialogen die Entwurzelung der Menschen im Zarenreich auf den Punkt. Zunehmend zerfallen die Ideale der Menschen, die keinen Halt mehr finden in der Gesellschaft, deren Stützen sie einst waren.

Mit dunkel lackiertem Holz und übermächtigen Fenstern erinnert Raimund Orfeo Voigts Bühne eher an eine Parteizentrale in der Sowjetunion als an ein Sommerhaus, in dem Gorki die so unterschiedlichen Menschen der russischen Gesellschaft zusammenführte. Da sind die Schauspieler regelrecht eingesperrt. Zwar symbolisiert Voigt damit griffig das Ersticken der Bourgeoisie in der eigenen Langeweile. Doch die Möglichkeiten des Schauspielensembles, starken Gefühlen auch körperlich und in der Bewegung Luft zu verschaffen, schränkt diese Konstruktion erheblich ein. Obwohl sich das träge Bühnenkonstrukt im Verlauf des zweieinviertelstündigen Abends langsam bewegt und die Blickwinkel verschiebt, offenbart diese Raumkonstruktion da erhebliche Schwächen. Zeitlos elegant, aber letzlich zu beliebig, sind die Kostüme, die Andrea Schmidt-Futterer kreiert hat. Sie bereichern die Szenerie ebenso wenig wie das nicht wirklich differenzierte Sounddesign von Moritz Waldmüller.

In dem engen Korsett, das Titov von der Regisseurin Koleznik vorgegeben bekommen hatte, bewegen sich die Bürgerinnen und Bürger, die nach neuen Perspektiven suchen. In diese Welt der Ignoranz und der emotionalen Leere platzt der Schriftsteller Schalimow, der den Repräsentanten einer zerfallenden Elite eine Perspektive bieten soll. An den einstigen Erfolgsliteraten klammert sich Warwara, die Frau des kriminellen Rechtsanwalts. Genijya Rykova lässt die ehemalige große Dame der Gesellschaft an ihren Lebenslügen scheitern. Als Thomas Dannemann die Szenerie betritt, werden ihre Träume zertrümmert. Da entladen sich Wut, Ärger und Zickigkeit. Starke Gefühle, die sich bei der gescheiterten Society-Lady ebenso entladen wie bei dem Literaten ohne Zukunft, vermögen die beiden Schauspieler dagegen nicht auf den Punkt zu bringen.

Viel zu melancholisch und depressiv legt Mary-Lou Sellem ihre Ärztin Marja an. Als einzige Frau, die einen eigenen Beruf hat und damit das Modell der Unabhängigkeit vorlebt, jammert sie ohne Unterlass über die Liebe zu einem jüngeren Mann. Da nutzt die vielseitige Schauspielerin, die gerade in ihren Fernsehrollen ein immenses Spektrum offenbart, ihr Potenzial nicht. Da ihre Liebesbeziehung zu einem jüngeren Mann im Text radikal gekürzt wurde, kommt die Vielschichtigkeit Gorkis auch da kaum zum Tragen. Als junger Liebhaber Wlas Chernow macht auch Paul Behren eine eher unglückliche Figur. Verzweiflung und Bitterkeit, die Maxim Gorki in seinen dunklen Sprachnuancen so schön zum Ausdruck bringt, erfasst in den Salzburger „Sommergästen“ am schönsten der 82-jährige Martin Schwab. Als einsamer Onkel des Ingenieurs Suslow lotet er die Balance zwischen Fremd sein in der neuen Gesellschaft und dem krampfhaften Klammern an alte Ideale betörend schön aus.

Schauspielerisch hat die Produktion zu selten so große Momente, wie sie Schwab in seinen bemerkenswerten Auftritten gelingen. In Titovs sehr auf den Text in der Übersetzung von Arina Nestieva fokussierten Regiearbeit fehlen die Höhepunkte, die das Publikum tatsächlich berühren könnten. Und gerade da liegt die Qualität der Dramen des Russen Maxim Gorki, der den Armen und Benachteiligten der Gesellschaft im Theater eine Stimme verlieh. Obwohl Titov Zeitgeschichte und Anspruch Gorkis sehr ernst nimmt und – anderes als die Mehrheit der Regiekollegen in seiner Generation – jedwede Dekonstruktion unterlässt, bleibt der Abend das oberflächliche Panorama einer vergessenen geistigen Elite.

Weitere Termine: 6., 7. und 8. August.