Der wohl unspektakulärste unter den Gitarrengöttern: der phänomenale Mark Knopfler Foto: dpa - dpa

Angeblich ist es seine letzte Tour: Mark Knopfler, der phänomenale Gitarrist, Sänger und Songschreiber, will mit bald 70 kürzer treten. In der Stuttgarter Schleyerhalle zeigte er sich noch einmal mit faszinierender Wucht, Lässigkeit und einer Portion Melancholie.

StuttgartWehmut schwingt mit. Mark Knopfler will kürzer treten. Nach dieser Tour möchte der im August 70-Jährige nicht mehr touren. Er brauche mehr Zeit zum Songschreiben und zum Üben, sagt er. Es könnte also sehr gut sein, dass sein Gastspiel in der Schleyerhalle sein letztes Konzert in Stuttgart gewesen ist. Doch statt leise aufzutreten, haut Knopfler noch einmal ganz groß auf den Putz. Nicht mit Pauken, aber mit Trompeten und weiteren unzähligen Instrumenten wie Bouzouki, Akkordeon, Uillean Pipes, irischem Dudelsack und vielem mehr. 48 Instrumente insgesamt. Seine Band hat er noch einmal vergrößert. Zehn Mann orchestriert Knopfler, und trotz dieser Größe ist das meisterliche Alt-Herrenteam, verstärkt durch zwei Frischlinge, eine überragende Einheit. Jeder Ton hat seinen Platz, sie spielen mal sanft, mal rockig, aber immer zeitlos und schön. Und der Sound, der früher schon übermächtig war, ist noch brillanter, noch mächtiger. Und zaubert eine superbe Klangfülle in die ausverkaufte, bestuhlte Arena.

Doch die 10 000 Fans wollen letztlich den Mann mit den magischen Fingern hören: Mark Knopfler, in Glasgow geboren, in Newcastle aufgewachsen, heute in London lebend. Diesen phänomenalen Gitarristen, Sänger und Songschreiber, neben Eric Clapton der wohl unspektakulärste unter den Gitarrengöttern. Er hat den Saiten das Sprechen beigebracht, hat unzählige Fingerabdrücke in der Musikgeschichte hinterlassen. Allerdings ist er rundlicher geworden, schleicht im rosa Hemd mehr über die Bühne, als dass er geht.

Lässig, melancholisch, einzigartig

Sein Gitarrenspiel ist dagegen noch immer von faszinierender Wucht, lässig und doch einzigartig. Er erzeugt unvergleichliche Melancholie, setzt pointierte Kurzgeschichten zu Kompositionen in Übergrößen. Mehr elegisch denn jubilierend, mehr anschmiegsam und weich-perlend denn hart rockend. Es ist ein unvergleichlicher Maximalismus in der schwebenden, fast andächtigen Stille. Die Klangreisen tragen ihn wohin er will: von Newcastle und seiner Pubkultur in die USA und wieder zurück. Seine Liebe zum keltischen Folk ist unüberhörbar, sein Rock wurzelt im US-Blues. „Postcards from Paraguay“ strahlt sogar Latin-Flair aus, das wunderbare „Once upon a Time in the West“ versprüht eine Prise Reggae. Der uneitle, in sich ruhende Anti-Star erfüllt keine Erwartungen oder Wünsche mehr. Knopfler kann sich das leisten. Sein Geld hat er längst verdient mit den Dire Straits, die ihm irgendwann zu groß wurden. Natürlich spielt er eine Handvoll Lieder aus dieser Vergangenheit. Das fantastische „Romeo and Juliet“ mit den berühmten Saxophon-Einsprengseln, später die wohlklingenden „Your latest Trick“ und „On every Street“ sowie als erste Zugabe den rockriffigen Blockbuster „Money for Nothing“, der die Fans von den Stühlen reißt und zur Bühne treibt. Seinen größten Hit „Sultans of Swing“ von 1978 bleibt er genauso schuldig wie den Klassiker „Brothers In Arms“. Die Dire-Straits-Nummern scheinen eher Pflichtprogramm zu sein, mehr denn je spürt man, dass ihm seine Solostücke mehr am Herzen liegen. Wie die Country-Rock-Hymne „Corned Beef City“ oder das fast vergessene, balladeske „Heart full of Holes“ mit den jubilierenden Bläsern. Oder „My Bacon Roll“ und das großartig folkige „Matchstick Man“, die beiden einzigen Stücken seines aktuellen, neunten Albums „Down the Road wherever“. Da sitzt er auf einem Barhocker und plaudert über uralte Zeiten, als er an einem Heiligabend mit seiner Gitarre von Penzance im Süden Englands nach Newcastle trampt und von einem Lkw-Fahrer mitten in den verschneiten Midlands rausgelassen wird. Der Song dazu gebiert Klänge, die nicht mit Euphorie und Feuer in den Bann ziehen, sondern mit zeitloser Schönheit. Knopfler ist endgültig der „Local Hero“ wie in der Filmkomödie, für die er die Titelmusik geschrieben hat. Er ist quasi zu dem texanischen Ölmagnaten aus dem Film mutiert, der in Schottland einen Strand aufkaufen soll, dem es aber allein um den dortigen Sternenhimmel und die Aurora borealis geht. Auch Knopfler schert sich keinen Deut mehr darum, was er nach den Gesetzen der Welt da draußen an Musik machen sollte.

Kraft eines guten Erzählers

m Gegenteil: Als sich die Band zu „Done with Bonaparte“ am Bühnenrand versammelt und loslegt, fühlt es sich an, als stünde man in einem Glasgower Pub und schaue einer einheimischen Truppe über die Schulter, die mit kindlicher Spielfreude jammt. Knopfler macht aus jedem Raum einen Pub. Er kommt von da, das hat er gelernt. Dazu knarzt sein über die Jahre gereifter, an Bob Dylan orientierter Sprechgesang, der Kraft und Charakter eines guten Erzählers hat, gerade in den leisen Tönen. Showtechnischer Firlefanz, Lightshow-Effekte? Fehlanzeige. Es geht einzig und allein um Musikgenuss pur im Cinemascope-Megaformat. Allein wegen „Done with Bonaparte“ lohnt sich das Konzert, mehr aber noch wegen „Speedway at Nazareth“, das langsam und leise beginnt, dann immer mehr Fahrt aufnimmt, sich zu einem Sturm entwickelt und am Ende in einem Hurrikan entlädt. Hier wie überhaupt in dem etwas mehr als zweistündigen Konzert ist das Solo perfekt akzentuiert, werden die Fans vom Soundtrack ihres Lebens regelrecht fortgerissen.

Nach der zweiten Zugabe „Piper to the End“ lässt sich Knopfler noch vermeintlich zum instrumentalen „Going Home“ aus „Local Hero“ überreden. Am Ende kommt er doch noch dort an, wo er einst hinwollte: in den schottischen Highlands. Und wer dabei nach oben schaut, kann sie an der Hallendecke sehen, die Aurora borealis. Tanzende Nordlichter, hervorgerufen durch das Aufeinandertreffen von elektrisierendem Sentiment und fesselnder Erinnerung. Diese Lichter, die Knopfler aussendet, dürfen nicht erlöschen. Dafür liebt er „live“ viel zu sehr.