Margarethe von Trotta Foto: dpa/Hase - dpa/Hase

Mit ihrem Film „Die bleierne Zeit“ schuf sie eine Monument der RAF-Zeit und der Vorgeschichte. Jetzt erhält Margarethe von Trotta die Ehren-Lola des Deutschen Filmpreises. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt sie das Filmemachen als Form der Selbstbefragung.

BerlinMit Filmen wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder „Rosenstraße“ hat sich Margarethe von Trotta einen Namen gemacht. Nun erhält sie für ihre herausragenden Verdienste die Ehren-Lola des Deutschen Filmpreises. Weil die Arbeiten der Regisseurin, Schauspielerin und Autorin von zeitloser Aktualität sind, wurde einer ihrer wichtigsten Filme – „Die bleierne Zeit“ – aufwendig digitalisiert und neu aufgelegt. Im Gespräch mit unserer Zeitung gibt die Regisseurin Einblick in ihr Schaffen.

Viele denken bei Ihrem Namen an die Regisseurin. Ihre Karriere haben Sie jedoch als Schauspielerin begonnen ...
Ja, und ich wäre fast am Esslinger Theater gelandet. Dann ging ich aber doch nach Stuttgart ans Theater der Altstadt. Das war eine sympathische kleine Bühne, an der ich mich sehr wohlgefühlt habe. Trotzdem war für mich immer klar, dass ich als Regisseurin Filme machen wollte. Doch das war damals noch nicht so selbstverständlich wie heute. Wir Frauen mussten ewig warten, bis wir eine Chance bekamen. Dafür haben wir uns sehr eingesetzt. Und wenn man sieht, wo wir heute stehen, hat es ja auch etwas genutzt.

Einer Ihrer wichtigsten Filme war „Die bleierne Zeit“, der von den Schwestern Gudrun und Christiane Ensslin erzählt. Nun erscheint er in einer restaurierten Fassung. Wie fühlt es sich an, diesen damals so heiß diskutierten Film nach fast 40 Jahren wieder anzuschauen?
Normalerweise schaue ich fertige Filme nicht mehr an, weil sich mein Blick dann schon wieder aufs nächste Projekt richtet. Als „Die bleierne Zeit“ nun digital restauriert wurde, lief der Film nochmals in München. Ich war sehr überrascht, wie präsent er für viele noch war. Offenbar ist er gar nicht gealtert. Ich glaube, das liegt auch daran, dass es ausdrücklich nicht nur ein politischer Film ist. Jeder kennt die besondere Konstellation zwischen Geschwistern: Einerseits liebt man sich, andererseits ist man aber auch Konkurrent.

Was hat Sie damals am Thema gereizt?
Nach der Beerdigung der drei RAF-Terroristen in Stuttgart hat mir Christiane Ensslin ihre Geschichte erzählt, die ich unglaublich spannend fand – vor allem den Rollentausch der beiden Schwestern: Als junge Mädchen war erst die eine rebellisch und die andere angepasst, im späteren Leben hat sich das umgedreht. Da musste ich an Antigone und Ismene denken. Dieser fast mythologische Hintergrund hat mich interessiert. Und dann die Chance, auf die 50er-Jahre zu blicken. Manche haben den Titel missverstanden: Für mich war nicht die Zeit der Rote Armee Fraktion eine bleierne, sondern die 50er-Jahre, in denen diese Generation erwachsen wurde.

Anders als spätere Filme haben Sie sich nicht auf die Ereignisse und ihre Protagonisten konzentriert, sondern gezeigt, was der Kampf der Roten Armee Fraktion mit den Menschen gemacht hat …
Ich hätte nie einen Film allein über die RAF gedreht. Ich möchte ins Innere der Menschen schauen. Das war nur möglich, weil Christiane Ensslin mir tiefe Einblicke ermöglicht hat. Und ich konnte manches von meiner eigenen Geschichte mit einfließen lassen. Dieses Moment der Emanzipation war mir ganz wichtig.

Wie haben sich die 70er-Jahre angefühlt?
Darauf muss jeder seine eigene Antwort geben. Wir gehörten damals nicht zu den Tätern, sondern zu denen, die man Sympathisanten nannte. Wir wurden beschimpft und in gewisser Weise verfolgt. Man wusste nie, wie weit das gehen würde. Aus heutiger Sicht war das eine sehr spannende Zeit. Damals empfand ich die Situation sehr intensiv, weil man sich ständig wehren musste gegen zu schnelle Einordnungen. Manchmal frage ich mich, wie es gekommen wäre, wenn es damals schon diese sozialen Medien gegeben hätte, die es heute so einfach machen, Menschen mit unglaublichem Hass zu überziehen.

Im Film heißt es: „Es ist schwer, gegen die allgemeine Hetze zu schreiben.“ War es auch schwer, diesen Film gegen die Hetze, der Sie ausgesetzt waren, zu drehen?
Damals kam Kritik von beiden Seiten: Die Rechten haben mich mit der RAF identifiziert, und die Linken haben mich beschimpft, weil ich ihre Genossen angeblich benutzt hätte. Dabei ging’s mir gar nicht um eine politische Botschaft. Ich brauche in meinen Filmen immer Menschen, denen ich folgen kann. Und die ich zu mir ganz persönlich heranholen kann. Ich muss immer erst den Menschen selbst sehen. Nicht nur seine Ansichten, sondern auch seine Gefühle beschreiben. So kann ich viel tiefer in ein Thema eindringen.

Schreiben kann zur Selbstvergewisserung beitragen. Filmemachen auch?
Ich würde nicht von Selbstversicherung sprechen, weil ich dadurch nicht sicherer werde in meinem Urteil. Manchmal werde ich sogar noch unsicherer. Für mich ist das Filmemachen genau wie das Schreiben eine Möglichkeit zur Selbstbefragung. Es steht Filmemachern gut an, sich ihren eigenen Unsicherheiten und Fragen auszusetzen. Filmemachen ist immer auch ein Abenteuer. Eine gewisse Unsicherheit gehört dazu, weil sie die Neugier weckt, wohin die Reise wohl gehen wird.

Sie waren sehr nah an der Geschichte dran, die Sie in „Die bleierne Zeit“ erzählen. Macht eine solche Nähe die Arbeit an Filmen einfacher oder schwieriger?
Komischerweise ist mir „Die bleierne Zeit“ leicht gefallen. Bei „Rosa Luxemburg“ habe ich zwei Jahre lang gelitten, bei „Hannah Arendt“ noch länger, weil ich so unsicher war, ob ich diesen historischen Persönlichkeiten gerecht werde. Wobei ich eine gewisse Verbindung sehe: Mit der Ermordung von Rosa Luxemburg beginnt dieser Blutstrom, der sich durch weite Teile dieses Jahrhunderts hindurchzog.

An einer Stelle im Film sagt die eine Schwester zur anderen: „Gedanken verändern nicht“. Und die andere erwidert: „Doch, aber langsamer.“ Ist das ein Satz, den Sie unterschreiben würden?
Damals auf jeden Fall. Heute zweifle ich manchmal daran, dass sich etwas verändern lässt. Wenn ich höre, was manche heute ungeniert sagen und dass sie damit sogar Erfolg haben, bin ich fassungslos. Und das in einem Land mit unserer Vergangenheit. Dieser Hass gegenüber anderen Menschen ist nur schwer erträglich.

Gibt es etwas, das Ihnen Mut macht?
Es gibt zum Glück auch ermutigende Zeichen. Wenn ich sehe, dass junge Leute heute die Schule schwänzen, um gegen den Klimawandel oder in den USA gegen Waffen zu demonstrieren, macht mir das Hoffnung. Offenbar gibt es heute wieder junge Menschen, die erkannt haben, dass sie für ihre Zukunft kämpfen müssen, weil sie später sonst die Konsequenzen tragen müssen. Wenn ich noch jünger wäre, würde ich heute auch wieder aufschreien.

Das Interview führte Alexander Maier.

Die Regisseurin und einer ihrer wichtigsten Filme

Margarethe von Trotta wurde 1942 als Tochter des Malers Alfred Roloff und seiner Frau Elisabeth von Trotta geboren. Ihre künstlerische Karriere hatte zunächst als Schauspielerin am Theater begonnen, mit Filmen bekannter Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder oder Volker Schlöndorff machte sie sich einen Namen. Ende der 70er-Jahre wechselte Margarethe von Trotta hinter die Kamera und wurde zu einer der bedeutendsten deutschen Regisseurinnen. „Margarethe von Trotta hat in einer Zeit , in der Frauen das Regieführen kaum zugetraut wurde, gesagt: Ich kann das! Schon dafür gebührt ihr Ruhm und Ehre“, begründeten die Juroren des Deutschen Filmpreises die Vergabe der Ehren-Lola.

„Die bleierne Zeit“, 1981 in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet, markierte von Trottas internationalen Durchbruch. Der Film, der bei Studiocanal in digitaler Aufarbeitung erscheint, wurde vom Schicksal von Christiane und Gudrun Ensslin inspiriert. Beide setzen sich im Zuge der 68er-Bewegung für gesellschaftliche Veränderungen ein. Während sich die eine als Redakteurin einer feministischen Zeitschrift engagiert, schließt sich die andere einer Untergrundorganisation an.