Atmosphäre und Stimmung waren sowohl am Freitagabend auf dem Hafenmarkt beim Avishai Cohen Trio (oben) als auch am Samstag bei der Trilok Gurtu Band hervorragend. Fotos: Bulgrin, Kellmayer Quelle: Unbekannt

Von Rainer Kellmayer

Esslingen - Der Auftakt zur dritten Auflage des Jazz-Festivals Esslingen stand unter einem guten Stern. Da Petrus die Schleusen geschlossen hielt, konnte das Konzert am Freitagabend Open Air stattfinden: Atmosphäre und Stimmung auf dem Hafenmarkt waren großartig. Dies besonders dank des Avishai Cohen Trios, das einen Höhepunkt nach dem anderen setzte und das zahlreiche Publikum auf eine vielfältige musikalische Reise mitnahm. Mit zwei Titeln aus seiner im vergangenen Jahr eingespielten CD „From Darkness“ heizte das Trio den Zuhörern sogleich ordentlich ein, gab eine Visitenkarte ab, die Interessantes erwarten ließ. Denn schnell wurde klar, dass hier kein Mainstream-Jazz auf der Tagesordnung stand, sondern ein Bandsound individueller Prägung.

Cohens Kompositionen sind stark beeinflusst von der Musik seiner israelischen Heimat, bilden eine Symbiose von osteuropäischen Melodien mit hebräischen Texten und arabischen Klängen. Die musikalische Grundstruktur war damit vorgegeben, doch der eigentliche Reiz lag in der Improvisationskunst der Akteure. Avishai Cohen beim Spielen des Kontrabasses zuzuschauen ist ein besonderes Erlebnis. Er scheint mit seinem Bass verwachsen, bearbeitet sein mächtiges Instrument mal mit percussiver Härte, mal zärtlich zupfend und geht dabei völlig in der Musik auf.

Keine Ein-Mann-Show

Trotzdem entstand keine One-Man-Show. Immer wieder brachte Cohen seine Partner ins Spiel, ließ dem Pianisten Omri Mor Raum für virtuose Tastengänge, und der Schlagzeuger Itamar Doari konnte sich als sensibler Percussionist auszeichnen. Wie er sein Instrumentarium mit Schlägeln, Jazzbesen und oft mit den bloßen Händen bearbeitete und dabei eine mannigfache Palette an Klangfarben zauberte, hob ihn weit über den Status eines „Drummers“ hinaus: Selten hat man Schlagzeugkunst in solcher Differenziertheit gehört. In der verträumten Ballade „Elli“ sorgte Doari präzise wie ein Uhrwerk für den Puls, über dem Omri Mor verträumte Klavierarpeggien perlen ließ und sich Cohen mit präzisen Bassaktionen einbrachte. Bei aller Geschmeidigkeit des Ensembleklanges scheute man auch nicht harte Dissonanzen oder penetrante Ostinati, und als Avishai Cohen zum Mikrofon griff und mit einschmeichelnder Stimme einen klavierbegleiteten Song zum Besten gab, war das Publikum restlos begeistert. Nach dem fetzigen Finale war noch lange nicht Schluss: Der Abend klang im Jazzkeller mit einer Jam-Session aus.

Jazzmusik ganz anderer Couleur war dann am Samstag in der Württembergischen Landesbühne zu hören. Mit dem vor 66 Jahren im indischen Bombay geborenen Schlagzeugartisten Trilok Gurtu stand ein Musiker auf der Bühne, der ein Weltenbummler in Sachen Musik ist: Es gibt wohl kaum eine Stilrichtung der Musik, mit der er sich noch nicht beschäftigt hat. Die Vielfalt dieser Einflüsse verschiedenster Kontinente mischt sich in seiner neuesten CD „Spellbound“ zu einer speziellen Symbiose des Weltmusik-Jazz‘. Gewidmet ist das Album dem Trompeter Don Cherry, in den 1970er-Jahren Mentor Gurtus. Die Trompete blies diesmal Frederik Köster, einer der besten deutschen Jazztrompeter, bereits mit einem renommierten Echo-Preis ausgezeichnet. In „Manteca“ jubelte sich Köster in extreme Höhenlagen hinauf, setzte Echoeffekte ein, und bewegte sich tonlich zwischen hartem Strahl und biegsamer Melodik. Dieser Trompetensound zog sich wie ein roter Faden durch alle Interpretationen, deren ungewöhnliche Klangwirkung wesentlich geprägt wurde durch das perfekte Spiel des Pianisten Jesse Millner und den exquisiten Bassgängen von Jonathan Cuiniado.

Unglaubliche Virtuosität

Doch alles überragte Trilok Gurtu an seiner riesigen Batterie von Schlaginstrumenten. Unerbittlich ließ er den Rhythmus pulsieren, sorgte nicht nur mit Händen und Füßen für eine schier unerschöpfliche Vielfalt an Klangfarben, sondern auch mit virtuoser Zungenakrobatik: Verschiedenste rhythmische Muster überlagerten sich in unglaublicher Virtuosität und Perfektion. Dabei machte Gurtu aus allem Klang - besonders faszinierend: ein gefüllter Wassereimer, den er zum Schlagzeug und Klangresonator umfunktionierte.

Zuvor trat ein Quintett von Musikstudenten auf, die in einem Festival-Workshop von den Hochschuldozenten Wolfgang Fuhr und Pepe Berns fit gemacht worden waren. Das deutlich zu lang geratene Programm brachte vornehmlich Eigenkompositionen der jungen Musiker. Wenn die Band auch noch etwas brav wirkte und in puncto Homogenität sowie Intonation nicht alles zum Besten stand, so spürte man doch Potenzial, das auf erfolgreiche Karrieren hoffen lässt.