Von Verena Großkreutz

Stuttgart - Dan Ettinger macht es richtig: Vor Beginn der abendfüllenden fünften Sinfonie Anton Bruckners sind erst einmal ein paar Sekunden Ruhe angesagt. Durchatmen, bevor der Dirigent den Einsatz gibt, es hineingeht in die sinfonische Epik: in die polarisierenden Extreme des Kopfsatzes mit seinem Aufbäumen und Zusammenstürzen, die zärtlich-intimen und euphorischen Momente des Adagios, das böse-bissige Scherzo und das verzweifelte, von rauschender Übertreibung gezeichnete Finale. Durchatmen, um sich noch einmal zu sammeln, und dann aus der völligen Stille heraus das Flüster-Pizzicato der Kontrabässe erklingen zu lassen. Das große Klangportal öffnet sich, langsam baut sich der Streicherchoral auf. Gerade diese Stellen des Werdens und des Übergangs gelingen den Stuttgarter Philharmonikern in der Leitung ihres Chefdirigenten an diesem Abend im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle vorzüglich. Bruckner hat dieses monumentale Werk in Sachen Hörsog vorbildlich, weil abwechslungs- und kontrastreich komponiert. Da passiert was im Orchester, das einen über 80 Minuten durch Klangmacht in Bann hält und die Ohren verführt durch satt-farbige Streicher-Kantilenen, hymnische Blechbläserchöre, charmante Holzbläsersoli. Und die Philharmoniker sind engagiert bei der Arbeit.

„Kontrapunktisches Meisterstück“

Manchmal könnte der Klang noch transparenter und schärfer konturiert, noch sauberer sein und die Einsätze noch genauer. Aber der riesig dimensionierte Spannungsbogen stimmt und die gestalterische Detailarbeit auch. Da weiß Ettinger, der Mann mit der hippen Strubbelfrisur, genau, was er will; und die Bruckner’schen Steigerungswellen werden minuziös aufgebaut. Besonders schön gelingt den Philharmonikern das Scherzo mit seinen vielen blitzschnellen Charakterwechseln - mal nonchalant, mal bitterböse, mal lärmend auftrumpfend. Was am Anfang dieses Abends stand, die große Stille, müsste auch dem Schlussakkord der fünften Sinfonie, der über eine letzte orgiastische Steigerungswelle erreicht wird, folgen: ein paar Sekunden nur. Das fordert das Finale ein, das der selbstkritische Komponist selbst als sein „kontrapunktisches Meisterstück“ bezeichnet hat und dessen Dimensionen wahrhaft riesenhaft sind. Aber das Danach liegt nicht mehr in den Händen des Dirigenten: Kaum ist der Schlussakkord gesetzt, brettert ein Teil des Auditoriums seinen Applaus in die noch nicht ganz erreichte Stille hinein, in die Generalpause, in die das Werk mündet. Bravo-Rufe zerstören die mühsam erspielte Spannung mit einem Schlag, und die Architektur der Sinfonie, ihre Symmetrie, scheint beschädigt. Das tut weh, liebes Publikum. Begeisterung ist gut, perfekt getimte noch besser.