Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Wenn András Schiff die Finger kurz auf die Klaviatur legt, bevor er zu spielen beginnt, scheint es, als wolle er die Tasten streicheln. In den Gesichtszügen spiegelt sich gespannte Erwartung, etwas wie Vorfreude, und so widmet er sich zum Auftakt seines am Ende umjubelten Klavierabends im Beethovensaal Mendelssohns Fantasie fis-Moll op. 28. Die präludierenden Akkorde auf dem Bösendorfer-Flügel wirken weich abgetönt, das Volkslied-Thema der ursprünglich „schottischen Sonate“, deren Presto-Finale die Sturmlandschaft von Mendelssohns „Hebriden“-Ouvertüre zitiert, wird in klangvoller Einfachheit intoniert. Im Mittelteil wirft der Pianist schon einen gestalterischen Blick auf die folgende Fis-Dur-Sonate von Beethoven.

Schiff ist für beziehungsreich zusammengestellte Programme bekannt. Auch das federnde Staccato-Spiel aus der Mendelssohn-Fantasie taucht hier im Allegro vivace wieder auf, die vier Takte der Adagio-Einleitung bereiten den Ton für den heiteren Charakter dieser Sonate, in der Schiff auch die humorvollen Pointen akzentuiert. Merkwürdig, dass er das fis-Moll-Capriccio von Johannes Brahms - das erste seiner Acht Klavierstücke op.76 - anschließt, als wär’s ein Beethoven-Epilog. Doch hier wie in den folgenden Charakterstücken herrscht ganz andersartige Konzentration des Ausdrucks. In Brahms’ Klaviermonologen findet Schiff mit sorgfältigsten Anschlag-Nuancen leuchtende Seelenlandschaften, ohne die Intimität und formale Ausgewogenheit der Stücke durch stärkere Emotionalisierung zu verletzen. Jedes Gefühl erscheint hier abgeklärt, die beherrschte Bewegung des „Un poco agitato“ oder des „Agitato, ma non troppo“ (im Pendant des Capriccio cis-Moll) wird eingebunden und verwandelt in die Kantabilität der „Grazioso“-Intermezzi: eine nobel ausdifferenzierte Zwiesprache mit dem Klavier.

Weniger gelassen formuliert Schiff die sieben späten Fantasien op. 116 von Brahms. Der erregten Leidenschaft der beiden d-Moll-Stücke begegnet der Pianist mit einer gewissen Zurückhaltung, die kontrapunktischen Sprünge des „Presto energico“ sind markant herausgearbeitet, doch das „Agitato“ des Schlussstücks erscheint gezähmt. Die vier Intermezzi dazwischen sind klanglich und in ihrer Phrasierung sorgfältig ausgelotet, meditativ wie im Adagio, ganz der Spielanweisung entsprechend im „Andante con grazia ed intimissimo sentimento“ und mit einem Anklang der „Liebeslieder“-Walzer im E-Dur-Andantino.

Phänomenaler Höhepunkt des Klavierabends war dann Johann Sebastian Bachs Englische Suite d-Moll, in der alle Vorzüge von Schiffs anschlagstechnisch bravourösem, gestalterisch luzidem Klavierspiel zum Ausdruck kamen. Sprühend vor Lebendigkeit und Energie das Prélude, harmonisch pointiert die Sarabande, voll heiterem Esprit die Gavottes und ein furioses Spektakel die Gigue; als Zugaben obendrauf Bachs „Italienisches Konzert“, zwei „Lieder ohne Worte“ Mendelssohns und schließlich das erste Intermezzo aus Brahms’ Opus 117. „Zum Einschlafen“, murmelte Schiff, da Brahms der Melodie Worte eines schottischen Wiegenlieds unterlegte. Von Schlaf konnte freilich keine Rede sein am Ende eines mit musikalischen Gaben reich gedeckten Vorweihnachtsabends.